Verunfallte oder erkrankte Menschen (wieder) in die Berufswelt einzugliedern, ist die Hauptaufgabe der Invalidenversicherung, auch IV genannt. Wie die IV in der Schweiz funktioniert, wofür sie zuständig ist und weshalb die berufliche Inklusion dabei so wichtig ist, erfahren Sie hier.
Wer von Geburt an wegen eines Unfalls oder einer Krankheit erwerbsunfähig ist oder wird, ist in der Schweiz über Sozialversicherungen geschützt. Wichtigster Pfeiler ist die Invalidenversicherung, meistens nur «IV» genannt. Zusammen mit der AHV bildet sie die sogenannte 1. Säule.
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So funktioniert die IV
Wer verstehen möchte, wie die IV funktioniert, kommt um den Begriff «Invalidität» nicht herum. Obwohl politische Bestrebungen bestehen, diesen abwertenden Begriff zu ersetzen, kommt er als Rechtsbegriff noch immer zum Einsatz und nimmt sogar eine zentrale Rolle ein. Im Sinne der IV gelten Personen als «invalid», die wegen gesundheitlicher Probleme wirtschaftlichen Schaden erleiden. Dieser Schaden kommt einerseits durch Lohnausfall und andererseits durch höhere gesundheitsbedingte Ausgaben zustande. Nur wer trotz medizinischer Behandlung und beruflicher Eingliederungsmassen diesen finanziellen Schaden nicht ausgleichen kann, hat Anspruch auf IV Leistungen.
Ein Beispiel dazu: Eine Lehrerin, die wegen eines Motorradunfalls den Unterschenkel amputieren musste, kann nach erfolgreicher Rehabilitation wieder, wie vor dem Unfall, als Lehrerin arbeiten. Ein Bauarbeiter, dem dasselbe passiert, kann unter Umständen nicht mehr dieselben Tätigkeiten übernehmen und benötigt Unterstützung der IV – entweder im Rahmen einer Wiedereingliederung oder einer IV-Rente.
Bei Menschen, die von Geburt an mit einer Behinderung oder Krankheit leben, spricht die IV von sogenannten «Geburtsgebrechen». In diesem Fall bezahlt die IV die medizinische Behandlung (ab dem 21. Lebensjahr übernimmt die Krankenversicherung), verhilft zu einer Ausbildung und bezahlt Hilfsmittel. Auch unterstützt sie bei der beruflichen Eingliederung und bezahlt Renten. In diesem Fall spricht die IV von «ausserordentlichen Renten». Diese werden auch für Jugendliche bezahlt, die vor Vollendung ihres 23. Altersjahrs invalid geworden sind.
Leistungen: dafür ist die IV zuständig
(Wieder)eingliederung
Die wohl wichtigste Aufgabe der IV ist die Wiedereingliederung. Sie umfasst neben Aus- und Weiterbildung, Berufsberatung, Umschulung und Arbeitsvermittlung auch die Bereitstellung von Hilfsmitteln, die die Selbstständigkeit am Arbeitsplatz oder im Privaten unterstützen. Ziel der Massnahmen ist immer, dass Menschen mit Behinderungen oder Krankheiten das bisherige Lohnniveau wieder erreichen können – oder zumindest annähernd. Wenn das nicht möglich ist, kommt die IV-Rente zum Zuge.
IV-Rente
Wenn eine Person nicht wieder vollständig eingegliedert werden kann, kann die IV eine Rente bezahlen. Diese dient dazu, den Erwerbsausfall zu kompensieren und materielle Not oder Armut zu verhindern. Allerdings ist der Anspruch auf eine IV Rente erst dann gegeben, wenn eine Person mindestens ein Jahr durchschnittlich zu 40 Prozent oder mehr arbeitsunfähig war und es voraussichtlich auch weiterhin bleiben wird.
Gut zu wissen: Wenn eine Person erwerbstätig war und ein bestimmtes minimales Jahreseinkommen erzielt hat, ist sie bei der Pensionskasse ihres Arbeitgebers versichert. In diesem Fall bezahlt die berufliche Vorsorge (BV) eine ergänzende Rente, um die Fortsetzung der gewohnten Lebensführung zu ermöglichen. Bei Erreichung des Rentenalters erhalten alle eine Altersrente der AHV anstelle der IV-Rente.
Weitere Geldleistungen
Zusätzlich zur IV-Rente kann die Invalidenversicherung auch Hilflosenentschädigung sowie Assistenzbeiträge leisten und Ergänzungsleistungen sprechen.
Eine Hilflosenentschädigung wird dann bezahlt, wenn Sie für mindestens zwei alltägliche Lebensverrichtungen auf fremde Hilfe angewiesen sind. So zum Beispiel für das An- und Auskleiden, Aufstehen und Hinlegen, Essen oder die Körperpflege. Um dennoch selbstständig Zuhause wohnen zu können, haben Personen mit einer Hilflosenentschädigung Anspruch auf Assistenzbeiträge. Mit diesen können Sie persönliche Assistenzpersonen einstellen, die ihnen bei den alltäglichen Lebensverrichtungen helfen. Falls die Ausgaben mit den Einnahmen aus der IV-Rente nicht gedeckt werden können, können unter Umständen Ergänzungsleistungen beantragt werden.
Die drei Säulen der Schweizer Vorsorge
Das Schweizer Sozialversicherungssystem unterscheidet zwischen der 1., 2. und 3. Säule. Die 1. Säule wird durch die AHV und die IV gebildet und bietet eine Existenzgrundlage für das Leben im Alter, bei Erwerbsunfähigkeit (Invalidität) oder nach einem Todesfall. Die 2. Säule, auch Pensionskasse oder berufliche Vorsorge (BV) genannt, ergänzt die Leistungen der AHV/IV. Sie wird im Bundesgesetz über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung (BVG) geregelt. Zusätzlich besteht die Möglichkeit mit der sogenannten 3. Säule Geld anzusparen, mit dem zusätzliche individuelle Bedürfnisse gedeckt werden können.
Höhe der IV-Rente: das stufenlose Modell
Wenn es darum geht, die Höhe der IV-Rente zu berechnen, steht wieder der Begriff der «Invalidität», respektive deren Schwere, im Zentrum. Der sogenannte «Grad der Invalidität», der dem stufenlosen Renten-Modell zugrunde liegt, bemisst sich am Ausmass des finanziellen Schadens, wie etwa am Lohnausfall. Um den Invaliditätsgrad zu ermitteln, wird das Einkommen vor dem Unfall oder der Erkrankung mit demjenigen verglichen, das danach noch erzielt werden kann. Die Einkommenseinbusse in Prozent ergibt den IV-Grad. Ein einfaches Berechnungsbeispiel:
- Einkommen vor dem Unfall/der Krankheit: CHF 70’000
- Einkommen nach dem Unfall/der Krankheit: CHF 31’500 (errechnetes Einkommen von CHF 35'000 mit Pauschalabzug von 10 Prozent)
- Erwerbseinbusse = CHF 38’500
- Grad der Invalidität = 55%
Ein Rentenanspruch besteht ab einem IV-Grad von 40 Prozent, eine ganze Rente wird ab einem IV-Grad von 70 Prozent ausgerichtet. Die detaillierte Abstufung sowie weitere Informationen finden Sie auf der Website der AHV/IV.
Doch wie wird das mutmassliche Einkommen nach dem Unfall oder der Erkrankung festgelegt? Hier gibt es zwei Varianten: Entweder hat die betroffene Person bereits eine angepasste Tätigkeit innerhalb oder ausserhalb des Unternehmens gefunden. In dem Fall dient dieses neue Einkommen «mit Invalidität» als Berechnungsgrundlage. Oder aber die betroffene Person konnte keine neue Erwerbstätigkeit aufnehmen. Dann greifen die Fachpersonen der IV auf statistische Werte zurück, wie die Schweizerische Lohnstrukturerhebung (LSE). Um die Einkommen von Personen mit Behinderungen besser abzubilden, wird ab dem Jahr 2024 ausserdem ein Pauschalabzug von 10 Prozent auf das ermittelten Invalideneinkommen eingeführt.
Auch bei ausserordenttlichen Renten, wie zum Beispiel bei Geburtsgebrechen, gibt es Abstufungen. Die Berechnung des IV-Grads erfolgt hier ebenfalls aufgrund statistischer Werte aus der LSE oder dem Lohnbuch Schweiz. Wenn eine junge Person zum Beispiel einen Abschluss EBA- oder EFZ-Abschluss erlangen konnte, dient dieser als Grundlage für die Ermittlung des Einkommens «ohne Invalidität» innerhalb des entsprechenden Berufszweigs. Falls sie keinen Abschluss hat, stützt sich die IV auf den Durchschnitt aller Kompetenzniveaus und Berufszweige. Die Festsetzung der Rentenhöhe (Betrag in CHF) erfolgt anschliessend durch die Ausgleichskasse. Die ausserordentliche Invalidenrente beträgt jeweils 133 1/3 Prozent des Mindestbetrages einer Vollrente.
IV Anmeldung
Wenn Sie krankheitsbedingt oder wegen eines Unfalls für längere Zeit bei der Arbeit ausfallen, ist es empfehlenswert, sich zwecks Früherfassung bei der IV-Stelle Ihres Wohnkantons zu melden. Hier finden Sie eine Übersicht aller IV-Stellen. Weitere Informationen und hilfreiche Links finden Sie in unserem Artikel zur IV Anmeldung.
Eingliederung und berufliche Inklusion
Dreh- und Angelpunkt der Invalidenversicherung ist also die berufliche (Wieder)eingliederung. Damit soll verhindert werden, dass Menschen mit Behinderungen oder Krankheiten zu dauerhaften Rentenbezüger:innen werden. In ihrer Broschüre über die schweizerische Invaliditätsvorsorge stellt das Bundesamt für Sozialversicherungen fest, dass die Eingliederung zwar insgesamt besser gelingt als früher, allerdings bereiten der IV die psychischen Krankheiten Sorgen, wie beispielsweise Depressionen. So führt es an: «Bei Personen mit psychischen Erkrankungen gestaltet sich die Integration besonders anspruchsvoll, denn in diesen Fällen reicht es nicht aus, Hilfsmittel bereitzustellen oder Arbeitsplätze barrierefrei zu gestalten, sondern es braucht spezifischere Massnahmen.» Diese Tatsache ist umso schwerwiegender, als dass aktuell rund fünfzig Prozent der neu gesprochenen IV-Renten wegen einer psychischen Krankheit gesprochen werden.
Auf unserem Portal erhalten Sie Tipps, wie Sie sowohl als Mitarbeiter:in als auch als Arbeitgeber:in mit psychischen Erkrankungen am Arbeitsplatz umgehen können und wie Sie die psychische Gesundheit im Unternehmen fördern. Denn die berufliche Inklusion ist auch eines unserer Kernanliegen. Mit unserem Jobportal und unserer Jobbörse für Menschen mit Behinderungen leisten wir einen Beitrag dazu, dass alle Menschen selbstverständlich und gleichberechtigt am Berufsalltag teilhaben können. Den Lebensunterhalt selbstständig bestreiten und die eigenen Ziele erreichen zu können, ist ein wichtiger Pfeiler eines glücklichen, selbstbestimmten Lebens.
Im Besonderen muss dies auch für junge Menschen mit Lernschwäche oder Behinderungen gelten. Gerade sie müssen bei der Ausbildung und beim Übergang ins Berufsleben mit Massnahmen unterstützt werden. Wir bieten mit unserem Lehrstellenportal Hand und eröffnen Jugendlichen spannende berufliche Perspektiven – und inklusiven Lehrbetrieben neue Möglichkeiten.