«Als Personalvermittler und Job Coaches schauen wir, dass die Person mit Behinderung zum Unternehmen passt und umgekehrt.»
Thomas Bräm und sein Team bei mitschaffe.ch vermitteln seit 2013 Personen mit Behinderungen in den ersten Arbeitsmarkt. Zwar sind die Anfragen seitens der Unternehmen in den letzten Jahren stetig gestiegen, dennoch gibt es noch immer viele Klischees und Vorurteile, die einer Anstellung im Weg stehen. Im Gespräch nimmt Thomas Bräm Bezug auf die Diversitäts- und Inklusions-Bestrebungen in Firmen sowie die Möglichkeiten für Stellensuchende mit Behinderungen im ersten Arbeitsmarkt.
Klischees und Vorurteile stehen bei der beruflichen Inklusion von Menschen mit Behinderungen noch immer im Weg. (pexels)
Die Situation rund um die berufliche Inklusion ist in der Schweiz noch immer alles andere als optimal. Menschen mit Behinderungen fallen bei der Rekrutierung meist während der ersten Auswahlrunde schon weg, oder scheitern daran, dass sie aufgrund systemischer Mängel über weniger Ausbildung verfügen (lesen Sie dazu auch Erfolgreich bewerben mit Behinderung). Dennoch hat sich in den letzten zehn Jahren viel getan, wie Thomas Bräm aus erster Hand weiss. Die Unternehmen sind sich der Inklusions-Thematik viel bewusster und sind um eine diverse Belegschaft bemüht.
Es hat sich viel verändert, sowohl auf Seiten der Arbeitnehmenden als auch der Unternehmen. Die Arbeitnehmenden suchen vermehrt ihren eigenen Berufs- und Karriereweg und geben sich nicht mehr mit der erstbesten Möglichkeit zufrieden. Sie sind interessierter daran, auch mal einen neuen beruflichen Weg einzuschlagen und etwas zu wagen. So ist letzthin eine Frau mit einer kognitiven Behinderung auf uns zugekommen, die als Bäckerin gearbeitet hat. Nun habe sie genug vom früh aufstehen und möchte gerne etwas Kreativeres machen. Am liebsten würde sie als Malerin arbeiten. Obwohl ich selbstkritisch sagen muss, dass ich zunächst Bedenken hatte, konnte ich die Frau an ein Malerunternehmen vermitteln. Diese sind sehr zufrieden mit ihrer Arbeit und sie selbst ist sehr happy, dass sie einer Arbeit nachgehen kann, die ihr Freude macht. Da habe ich selbst gemerkt, dass auch ich manchmal in die Falle tappe und die Hürden statt die Möglichkeiten sehe.
Auch in die Unternehmen ist Bewegung gekommen – vor allem im KMU-Bereich. Das Thema «Diversity and Inclusion» steht jetzt bei fast jeder Firma auf der Agenda. Dies merken wir ganz konkret. Hat sich in den ersten fünf Jahren fast nie eine Firma gemeldet, kommen diese jetzt von sich auf uns zu. Und manchmal mit ganz konkreten Vorstellungen, zum Beispiel, dass man in den nächsten fünf Jahren fünf Personen mit Behinderungen oder über 50-Jährige einstellen möchte. Das Thema ist viel wichtiger und sichtbarer geworden. Früher hat man das gar nicht als Bedarf oder einen Markt angesehen.
Diskussionen in der Community
Ich denke, es liegt daran, dass das Thema in den letzten Jahren breiter an die Öffentlichkeit getragen wurde. Das Thema Behinderung ist insgesamt näher bei der Bevölkerung durch den Inklusionsgedanken. Plötzlich geht es um Inklusion in den Schulen oder bei der Arbeit, was vorher nicht der Fall war.
Auch die Gender-Thematik und der demografische Wandel haben die Sensibilisierung für Diversität und Inklusion gefördert. Früher kam eher die HR- oder Personalabteilung mit einer Anfrage auf uns zu. Diese hatte dann aber Mühe, das Vorhaben intern umzusetzen. Heute kommt der Wunsch auch vermehrt «von oben». Also dass der CIO zur HR-Abteilung geht und möchte, dass man mehr Menschen mit Behinderungen einstellt.
Ja genau, wobei es deutlich mehr Stellensuchende sind. Etwa drei Viertel aller Anfragen kommen von Stellensuchenden und ein Viertel von Unternehmen. Gestern kam zum Beispiel eine Frau mit Down-Syndrom mit ihrer Schwester vorbei. Sie war mehrere Jahre in einer Werkstätte tätig, möchte jetzt jedoch gerne mit Kindern arbeiten. Dies ist im Rahmen ihrer jetzigen Anstellung in der Werkstätte aber nicht möglich. Am liebsten würde sie in einer Kindertagesstätte in der Nähe ihres Wohnortes arbeiten. Es ist wichtig, dass sie die Anreise zur Arbeit mit dem öffentlichen Verkehr selbst bewerkstelligen kann.
« Gerade junge Erwachsene mit einer praktischen Ausbildung nach INSOS wissen oft nicht, wie sie die Stellensuche anpacken sollen. »
Es kommen aber auch oft junge Erwachsene auf uns zu, die eine praktische Ausbildung der INSOS absolviert haben. In der Regel wird die PrA, wie sie genannt wird, von der IV finanziert. Nach der Ausbildung sind diese jungen Leute aber häufig sehr hilflos und wissen gar nicht, wie sie die Stellensuche anpacken sollen oder wie man überhaupt eine Bewerbung schreibt. Hier schliessen wir eine Lücke.
Die Unternehmen kommen oft mich zu, weil sie mein Profil auf LinkedIn gesehen haben und sich zum Thema austauschen möchten. Oft bitten sie mich mal vorbeizukommen und sich die Firma und ihre Tätigkeiten anzuschauen. Oder aber sie möchten sich mit einem Unternehmen austauschen, die schon eine Personalvermittlung gemacht hat. In dem Fall versuche ich zwei möglichst ähnliche Unternehmen miteinander zu vernetzen.
Personalvermittler Thomas Bräm vermittelt mit mitschaffe.ch Personen mit Behinderungen in den ersten Arbeitsmarkt.
Mit den Stellensuchenden führen wir zuerst eine Art Mini-Assessment durch. Wir schauen, was die Person gut kann, was ihre Stärken sind. Je nachdem haben wir bereits ein spannendes Unternehmen bei uns im Pool. Andernfalls gehen wir mit der Bewerbung direkt auf Unternehmen zu, die infrage kommen könnten.
Bei den Unternehmen ist es so, dass sie zunächst ein Jobprofil mit den konkreten Tätigkeiten ausfüllen. Wir stellen ihnen dieses als Vorlage zur Verfügung und helfen auch bei der Identifizierung geeigneter Tätigkeiten. Dann schauen wir bei uns, ob wir passende Personen haben oder schreiben die Stelle bei uns oder auf Ihrer Jobbörse aus.
Wenn die Parameter stimmen, dann kommt meistens eine Personalvermittlung zustande. Unabhängig vom Faktor Zeit. Es kann sein, dass sich innerhalb einer Woche bereits etwas Spannendes ergibt, aber manchmal dauert es auch deutlich länger. Bis zu einem Jahr.
Es kommt natürlich auch stark auf die Wünsche und Vorstellungen an, die ein:e Stellensuchende:r hat. Wenn jemand zum Beispiel nur bei McDonald’s arbeiten möchte, dann wird es schwierig. Ist die Person aber flexibel und wirklich daran interessiert einen Job zu finden, dann findet sich meistens etwas.
Manchmal kommt es aber auch vor, dass die Person beim Schnuppern merkt, dass der Job doch nicht das Richtige für sie ist und dann von sich aus zurückzieht. Es ist ja für beide Seiten etwas ganz Neues, das kann schon vorkommen.
« Wir unterstützen sowohl Stellensuchende mit der Bewerbung als auch Unternehmen bei der Rekrutierung. »
Ganz oft werden wir gefragt, ob und welche Voraussetzungen man mitbringen muss, um Menschen mit Behinderungen anzustellen. Oder wie viel Aufwand es benötigt, diese einzuarbeiten und zu betreuen. Aber es gibt auch viele organisatorische und finanzielle Fragen. Wer hilft uns zum Beispiel, wenn wir ein Problem haben?
Auch werden wir manchmal gefragt, ob sich ein Unternehmen auch eignet, wenn gefährliche Tätigkeiten ausgeführt werden oder im Lagerraum Stapler herumfahren. Sicherheitsaspekte, also.
Ja genau. Es zeigt sich, dass wir alle ein anderes Bild von Menschen mit Behinderungen haben. Jemand denkt vielleicht an einen schwerstbehinderten Menschen im Rollstuhl. Jemand anderes an einen hochbegabten Autisten, der in einer ruhigen Ecke für sich arbeitet. Wieder andere hatten bislang kaum Berührungspunkte mit einer Person mit Behinderung. Es sind auf jeden Fall noch immer viele Klischees da.
Einer von unseren Standardsätzen ist: Wir müssen gemeinsam schauen, was für Herausforderungen es in Ihrem Unternehmen gibt und dann suchen wir jemanden, der zu den Rahmenbedingungen passt.
Was wir auch immer ansprechen ist, dass es wichtig ist, dass immer mindestens zwei Personen dahinter stehen. Überspitzt gesagt: eine Person in der Chefetage und eine an der Basis. Sonst funktioniert es nicht. Ausserdem muss die eingestellte Person mit Behinderung eine fixe Bezugsperson im Unternehmen haben. Je schwerer die Behinderung, desto wichtiger die Bezugsperson. Je fitter eine Person ist, desto weniger Hilfestellung benötigt es.
Unser Ansatz ist es, dass wir die Personen mit Behinderungen bei uns anstellen und dann an Unternehmen verleihen. Deshalb sind wir auch nach der Personalvermittlung noch stark involviert. Wir haben zum Beispiel ein Bewertungssystem. Arbeitnehmende und Unternehmen bewerten anhand von Smileys, wie die Woche gelaufen ist. Das gibt uns unmittelbares Feedback und wir können eingreifen, falls es mal nicht so gut läuft. Wenn es gut läuft, hört man relativ bald nicht mehr so viel (lacht).
Unsere Job Coaches sind natürlich auch über den gesamten Anstellungsverlauf involviert und stehen den Unternehmen und Arbeitnehmenden zur Seite.
Die Job Coaches sind Ansprechpersonen für die eingestellte Person mit Behinderung als auch für die Unternehmen. Sie arbeiten nach dem Ansatz von Supported Employment. Das heisst, sie möchten die Personen dazu befähigen, Herausforderungen selbst zu meistern und keine neuen Abhängigkeiten schaffen. Denn das wäre nicht zielführend. Die Job Coaches nehmen den Menschen mit Behinderungen nicht alles ab, sondern versuchen es gemeinsam mit ihnen anzupacken. Dies schätzen sowohl die Arbeitnehmenden als auch die Firmen ungemein. Sie wissen, dass immer jemand da ist und sie müssen es nicht selbst machen.
Diversität und Inklusion für Ihr Unternehmen
Möchten Sie von den nachhaltigen Vorteilen einer inklusiven Unternehmenskultur profitieren? Gerne begleiten wir Sie von der Strategieentwicklung, über Sensibilisierungsarbeit bis zur Rekrutierung. Gehen Sie mit uns den Weg zu mehr Inklusion. Erfahren Sie mehr über unser Angebot oder kontaktieren Sie uns.
Die Gründe, warum ein Unternehmen eine Person mit Behinderungen einstellen möchte, sind ganz unterschiedlich. Entsprechend legt man den Fokus auch verschieden. Für die einen tut es gut, mit Personen zusammenzuarbeiten, die motiviert sind und Freude an der täglichen Arbeit haben. Andere möchten, dass das Personal genauso divers ist, wie die Kundschaft.
Grundsätzlich geben die meisten Unternehmen an, dass sie die Diversität extrem schätzen und dadurch auch Vorurteile abgebaut werden konnten. Sie nehmen auch in Kauf, dass etwas mal etwas länger dauert – zum Beispiel bei einer Person mit Lernschwierigkeiten. Hingegen sind Unternehmen nicht sehr kulant, was Freundlichkeit und Zuverlässigkeit anbelangt. Gerade Pünktlichkeit ist im ersten Arbeitsmarkt sehr wichtig. Wenn das zwei, drei Mal nicht klappt, kann es sein, dass die Chance vertan ist. Aber auch hier kann ein Job Coach unterstützen und mit dem Mitarbeitenden nach Strategien suchen, dass es künftig besser klappt mit der Pünktlichkeit.
« Ich möchte Mut machen, auch mal etwas Neues zu wagen. Just do it. »
Aber auch wenn es mal nicht so gut laufen sollte, und das gibt es, so ist mir doch sehr wichtig, Mut zu machen. Mut, für die Stellensuchenden, auch mal aus der eigenen Komfortzone rauszugehen und etwas Neues zu wagen. Sich etwas zuzutrauen. Aber auch Mut für Unternehmen, es einfach mal anzupacken. Just do it.
Ja. Mir ist wichtig, Teilhabe und Wahlmöglichkeiten für Menschen mit Handicap zu schaffen. Dass Menschen wählen können, wo, was und wie sie arbeiten möchten. Und natürlich ist mir auch wichtig zu betonen, dass Menschen mit Behinderungen viel zu bieten haben – viel mehr als man denkt.
Auch die Schnittstelle zwischen Sozialem und Wirtschaftlichem ist sehr spannend und unglaublich abwechslungsreich. Es kann sein, dass ich am Morgen bei IKEA bin und am Nachmittag bei einem Landwirt im Schweinestall. Schlussendlich sind immer Menschen dahinter, die an Diversität und Inklusion interessiert sind und einen Schritt weitergehen möchten.
Wir danken Thomas Bräm von mitschaffe.ch ganz herzlich für das spannende Interview. Offene Stellen und weitere Informationen finden Sie auf der EnableMe Jobplattform.