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Subjektfinanzierung: selbstbestimmt wohnen mit Behinderung

In verschiedenen Kantonen, so auch in den beiden grössten Bern und Zürich, können Menschen mit Behinderungen bald selbst bestimmen, wo und wie sie leben möchten. Doch worum geht es bei der sogenannten Subjektfinanzierung genau und was ist der Unterschied zum Assistenzbeitrag der IV? Erfahren Sie mehr über den Paradigmenwechsel.

Eine Frau im Rollstuhl schneidet in der Küche eine Avocado auf. | © Pexels / Marcus Aurelius

Die Subjektfinanzierung ermöglicht es Menschen mit Behinderungen selbst zu bestimmen, wie sie leben möchten und bei welchen Tätigkeiten sie Unterstützung benötigen. (Pexels / Marcus Aurelius)

Worum geht es bei der Subjektfinanzierung?

Menschen mit Behinderungen haben noch immer nur begrenzte Möglichkeiten zu entscheiden, wo und wie sie wohnen möchten. Dies obschon die Schweiz 2014 die Behindertenrechtskonvention der UNO (UNO-BRK) ratifiziert hat, mit der sie sich zur Inklusion und Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen verpflichtet hat. Oftmals wird der Aufenthalt in einem Wohnheim oder einer Tagesstätte als einzige oder auch «einfachste» Wohnform wahrgenommen. Der Grund ist, dass viele Menschen mit Behinderungen nur ungenügend über ihre Rechte und Möglichkeiten informiert sind, aber auch, dass auf sie zugeschnittene Angebote vielfach noch immer fehlen.

Objekt- vs. Subjektfinanzierung

Während bei der Objektfinanzierung finanzielle Zuschüsse (Subventionen) von den Kantonen direkt zu den Institutionen fliessen, profitieren die betroffenen Personen bei der Subjektfinanzierung selbst von Unterstützung. Die Zuschüsse können sie für Leistungen von Organisationen oder Privatpersonen einsetzen, die sie aufgrund ihrer Behinderung oder Krankheit benötigen.

Die Subjektfinanzierung ermöglicht es Menschen mit Behinderungen selbstbestimmt über ihre Wohnform zu bestimmen. Sie können diese Entscheidung selbst oder in Absprache mit einer Vertrauensperson treffen. Wichtig ist, dass ihre individuellen Bedürfnisse und Ziele im Vordergrund stehen und Entscheidungen nicht über ihren Kopf hinweg getroffen werden. Menschen mit Behinderungen können damit ihre Lebensziele besser verwirklichen und können in der Gesellschaft vollständiger und gleichberechtigter teilhaben.

Zusammenspiel mit dem Assistenzbeitrag der IV

Für Menschen mit einer Hilflosenentschädigung wurde 2012 der IV Assistenzbeitrag eingeführt. Dieser soll es Menschen mit Behinderungen ermöglichen, persönliche Assistenzpersonen für alltägliche Hilfestellungen Zuhause sowie für lebenspraktische Begleitung einzustellen. Die Hürden, den Assistenzbeitrag zu beantragen, sind aber nach wie vor sehr hoch, da viel administrativer Aufwand damit verbunden ist und Menschen mit Behinderungen die Rolle als Arbeitgebende übernehmen müssen.

Menschen mit einer kognitiven Behinderung fällt dies besonders schwer. Für diese wurde bislang primär die Betreuung in Institutionen sichergestellt. Bei einer Subjektfinanzierung haben nun alle Menschen mit Behinderungen, auch jene mit einer kognitiven Behinderung oder schweren psychischen Erkrankung, die Wahl, wo und wie sie leben möchten. Die Person mit Behinderung erhält dazu ein Budget vom Kanton, mit dem sie ambulante Leistungen beziehen sowie Assistenzpersonen entlöhnen oder Angehörige entschädigen kann. Die Subjektfinanzierung schliesst hier eine Lücke des IV Assistenzbeitrags, bei dem Lebenspartner:innen und Personen, die in gerader Linie verwandt sind (zum Beispiel Eltern oder Kinder), nicht entschädigt werden können.

In den meisten Kantonen, die eine Subjektfinanzierung eingeführt haben, wird in einem Bedarfsermittlungsverfahren festgelegt, wie hoch der Unterstützungsbedarf ist. Das Verfahren steht allen erwachsenen Menschen mit einer Rente der Invalidenversicherung (IV) offen – auch jenen, die in einer Institution leben oder bereits den IV Assistenzbeitrag beziehen. Für die Festlegung der Leistungsgutsprache werden bereits bezogene Leistungen durch die Hilflosenentschädigung, den Assistenzbeitrag oder Ergänzungsleistungen berücksichtigt und, wo behinderungsbedingt notwendig, ergänzt. Als Beispiel ist hier der Kanton Thurgau zu nennen, in dem mit einem ergänzenden Assistenzbudget das ambulante Betreuungsangebot gefördert wird.

Wie wohnen Sie?

Welche Wohnform haben Sie für sich gewählt? Leben Sie bereits in den eigenen vier Wänden oder planen Sie aufgrund der Subjektfinanzierung künftig autonom zu wohnen? Teilen Sie Ihre Erfahrungen in unserer Community oder stellen Sie Ihre Frage.

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Stand der Umsetzung in den Kantonen

Obwohl die UNO-BRK in der gesamten Schweiz umgesetzt werden muss, haben noch längst nicht alle Kantone Schritte in Richtung Subjektfinanzierung unternommen. Und bei denjenigen Kantonen, die sich für eine Subjektfinanzierung entschieden haben, zeichnen sich ganz unterschiedliche Wege ab. So sehen beispielsweise die Lösungen in den Kantonen Bern, Basel und Zürich aus:

Kanton Bern

Nach verschiedenen Pilotprojekten wird im Kanton Bern ab dem 1. Januar 2024 das neue Gesetz über die Leistungen für Menschen mit Behinderungen (BLG) in Kraft treten. Mit der Einführung des BLG fliessen Gelder des Kantons nicht pauschal an Institutionen, sondern zu ambulanten Leistungserbringern. Menschen mit Behinderungen, die in Institutionen leben, schliessen neu mit ihnen Betreuungsverträge ab. Für die Ermittlung des behinderungsbedingt notwendigen Unterstützungsbedarfs wird ein neues Bedarfsermittlungsverfahren eingesetzt, das allen Menschen mit Behinderungen im Kanton Bern zur Verfügung steht. In diesem Verfahren steht die Person mit Behinderung mit ihren Bedürfnissen und Ressourcen im Zentrum. Der Unterstützungsbedarf wird im sogenannten individuellen Hilfsplan (IHP) festgelegt. Während des ganzen Prozesses steht der Person mit Behinderungen eine Beratungsstelle zur Verfügung. Zudem können auch Vertrauenspersonen für Entscheidungen hinzugezogen werden. Die Anmeldung und Durchführung des Verfahrens erfolgt mittels Online-Tool.


Kantone Basel Landschaft und Basel Stadt

In den beiden Basel wurde bereits 2017 das neue Gesetz über die Behindertenhilfe (BHG) in Kraft gesetzt. Zur Ermittlung des Unterstützungsbedarfs stehen zwei Instrumente zur Verfügung: IHP und IBBplus. Bei IBBplus gibt es eine Fremdeinschätzung der benötigten Unterstützungsleistungen. Optional kann eine zusätzliche Selbsteinschätzung abgegeben werden. Der individuelle Hilfeplan (IHP) wird hingegen von der betroffenen Person selbst ausgefüllt sowie von einer gut vertrauten Fachperson. Er besteht aus offenen Fragen zur Lebenssituation. Welches Instrument zur Anwendung kommt, entscheidet das kantonale Amt aufgrund der Angaben in der Anmeldung. Der ermittelte Unterstützungsbedarf wird anschliessend in sogenannten Bedarfsstufen angegeben. Auch in den Kantonen Basel Landschaft und Basel Stadt steht Menschen mit Behinderungen eine Beratungsstelle bei Fragen rund um die Bedarfsermittlung und den Leistungsbezug zur Verfügung. 

Zürich

Der Kanton Zürich wird per 1. Januar 2024 die Subjektfinanzierung einführen. Das neue Gesetz über den selbstbestimmten Leistungsbezug durch Menschen mit Behinderung (SLBG), auch Selbstbestimmungsgesetz genannt, sieht vor, Menschen mit Behinderungen künftig direkt mit sogenannten Voucher zu unterstützen. Mit Voucher sind Betreuungsgutscheine gemeint, mit denen Leistungserbringer, Privatpersonen oder auch Institutionen anschliessend mit dem kantonalen Sozialamt abrechnen können. Richtlinien für die Anforderungen an private oder ambulante Leistungserbringer werden derzeit erarbeitet. Auch in Zürich steht ein Fragebogen zur Ermittlung des Unterstützungsbedarfs im Zentrum. Der Fragebogen wird von der Person mit Behinderung ausgefüllt und von einer Person im Umfeld ergänzt. Eine Abklärungsstelle wertet anschliessend den Fragebogen aus, hält den Bedarf an Unterstützung fest und stellt den Voucher aus. Auch in Zürich steht Menschen mit Behinderungen eine Beratungsstelle zur Verfügung. Diese ist aktuell im Aufbau. Es ist vorgesehen, dass die Einführung des neuen Gesetzes bis Ende 2026 abgeschlossen sein wird.

Trotz der zahlreichen kantonalen Bemühungen, wird die Subjektfinanzierung aktuell in jedem Kanton etwas anders gelöst. Dies erschwert es Menschen mit Behinderungen erheblich, sich zurechtzufinden – geschweige denn, bei einem Wechsel des Wohnortes wieder neu zu organisieren. Diese Übersicht zeigt den Stand der Umsetzung der Subjektfinanzierung in den einzelnen Kantonen:

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Subjektfinanzierung im Bereich Arbeit

Die Bestrebungen im Bereich Wohnen legen nahe, auch in anderen Lebensbereichen die Selbstbestimmung und Wahlmöglichkeiten von Menschen mit Behinderungen zu fördern. So zum Beispiel im Bereich Arbeit, da viele Werk- und Tagesstätten auch Arbeitsplätze anbieten. Auch in der UNO-BRK wird festgehalten, dass Menschen mit Behinderungen auf der Grundlage der Gleichberechtigung Recht auf Arbeit haben. Dennoch wird dieser Aspekt in sämtlichen Kantonen mit Subjektfinanzierung ausgeklammert. Als Gründe werden genannt, dass grundsätzlich jeder Mensch frei in der Wahl seines Arbeitsplatzes ist und dass kein Vorteil von Menschen mit Behinderungen gegenüber nicht behinderten Menschen entstehen soll. In der Realität ist es allerdings so, dass Menschen mit Behinderungen oder Krankheiten noch immer grosse Schwierigkeiten haben, einen Job im ersten Arbeitsmarkt zu finden und diskriminiert werden. Lesen Sie dazu den Artikel über die Herausforderungen von Teilrentenbeziehenden sowie die regelmässigen Umfragen des Bundesamtes für Statistik.

Um echte Wahlfreiheit zu haben, braucht es weitergehende Bemühungen, um ein inklusives Arbeitsumfeld zu schaffen. Die Arbeit in einer Institution kann nicht einfach als «einfachste» Lösung gesehen werden. Deshalb benötigt es auch in diesem Bereich massgeschneiderte Angebote und Unterstützungsmöglichkeiten für Menschen mit Behinderungen. Genauso wie es im Bereich Wohnen aktuell in verschiedenen Kantonen angestrebt wird. Subjektfinanzierung könnte in diesem Zusammenhang so ausgelegt werden, dass Menschen mit Behinderungen behinderungsbedingte Unterstützung am Arbeitsplatz erhalten. Mit dieser Unterstützung wären jedoch nicht Hilfsmittel gemeint, sondern eine Art behinderungsbedingter Nachteilsausgleich, der an die Unternehmen geht, oder auch individuelle Weiterbildungsmöglichkeiten.

Klar ist: Um die Zugänglichkeit des ersten Arbeitsmarktes zu verbessern und Inklusion voranzutreiben, braucht es neue Denk- und Lösungsansätze. Mit EnableMe Jobs bieten wir deshalb bereits heute Informationen, Austauschmöglichkeiten sowie eine Jobbörse speziell für Menschen mit Behinderungen und für Unternehmen, die auf Inklusion und Diversität setzen.


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