Skip to Content Skip to Mainnavigation Skip to Meta Navigation Skip to Footer
Skip to Content Skip to Mainnavigation Skip to Meta Navigation Skip to Footer

UNO-Behindertenrechtskonvention – Stand der Umsetzung

Die Schweiz hat im April 2014 als 144. Staat die UNO-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen ratifiziert. Auch wenn in einigen Bereichen die Ziele der BRK erreicht werden konnten, gibt es in anderen Sektoren noch einiges Verbesserungspotential.

Hauptquartier der vereinten Nationen. | © pixabay

Die UNO geht in Sache Behindertengleichstellung noch etwas weiter als die Schweiz. (pixabay)

Die UNO Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) verbietet jede Form der Diskriminierung von Menschen mit Behinderung und garantiert unter anderem das Recht auf ein unabhängiges und selbstbestimmtes Leben und gleiches Recht auf eine eigene Familie. Ebenfalls garantiert sie das Recht auf Beschäftigung, das Recht auf einen angemessenen Lebensstandard und sozialen Schutz. Zusätzlich wird auch der gleichen Zugang zu Bildung, ein Recht auf gleiche Teilhabe am öffentlichen und kulturellen Leben sowie der Schutz vor Gewalt, Ausbeutung und Missbrauch gewährleistet.

Die Behindertenrechtskonvention und das Behindertengleichstellungsgesetz

Viele Bereiche die von der UNO Behindertenkonvention adressiert werden, sind in der Schweiz dank dem Behindertengleichstellungsgesetz (BehiG) schon vor der Ratifizierung erfolgreich umgesetzt worden. Denn das Behindertengleichstellungsgesetz deckt sich zu einem grossen Teil mit den Bestimmungen der UNO-Konvention. Gleichzeitig sind die Lebensbedingungen für Menschen mit Behinderungen in der Schweiz verhältnismässig gut, auch wenn es immer noch Verbesserungspotential gibt.

Aber viele Punkte der Behindertenrechtskonvention werden im Behindertengleichstellungsgesetz zwar angeschnitten, aber nicht konkretisiert oder scheitern bei der Umsetzung – teils am «Kantönligeist», teils am Desinteresse der Behörden. Deshalb setzte die Unterzeichnung und Ratifizierung der Behindertenrechtskonvention ein klares Zeichen, dass der Staat die Betroffenen und ihre Belange überhaupt ernst nimmt. Das sieht auch die Égalité Handicap so: «Durch den Beitritt zeigt die Schweiz der internationalen Gemeinschaft ihr Engagement zur Förderung der Gleichstellung von Menschen mit Behinderung».

Bei der erstmaligen Überprüfung der Umsetzung der UN-BRK im März 2022 zeigt sich allerdings, dass kein umfassender Aktionsplan von Bund und Kantonen zur Beseitigung der Hindernisse vorhanden ist. Bestehende Gesetze werden heute nicht systematisch im Lichte der UN-BRK überprüft, erlassen oder revidiert.

Diskussion im Schweizer Parlament zu Rechten für Menschen mit Behinderungen

Der Ständerat behandelte zwei Vorstösse, welche für Menschen mit geistigen und psychischen Behinderungen von grosser Bedeutung sind: Es geht um die Gewährung und Wahrnehmung ihrer politischen Rechte. In den meisten Kantonen und auf Bundesebene dürfen Menschen unter gewissen Formen der Beistandschaft weder stimmen noch wählen.

Der kategorische Ausschluss gewisser Menschen mit Behinderungen verstösst gegen die Grundwerte unserer Verfassung. Er lässt sich mit dem verfassungsrechtlichen Verbot der Diskriminierung wegen einer Behinderung nicht vereinbaren. Er widerspricht auch den völkerrechtlichen Verpflichtungen, welche die Schweiz bei der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention eingegangen ist. Caroline Hess-Klein, Abteilungsleiterin Gleichstellung bei Inclusion Handicap betont: «Wir müssen handeln, ohne darauf zu warten, dass der UNO-Ausschuss die Schweiz kritisiert. Er hat bereits mehrmals erklärt, dass die Konvention im Bereich der politischen Rechte keine Ausnahmen für irgendeine Kategorie von Menschen mit Behinderungen zulässt». Hier gilt es zusätzliche Bemühungen vorzuweisen. Diese sind unverzüglich an die Hand zu nehmen.

Fortschritte in Definitionsfragen

Einige Schwierigkeiten bereitete in der Vergangenheit die Festlegung der Definition von Menschen mit Behinderung: Wer gilt in der Schweiz überhaupt als «Mensch mit Behinderung»? Grundsätzlich war das bis zur Ratifizierung der Behindertenrechtskonvention eher eine persönliche Auslegung, im Gegensatz zu beispielsweise Deutschland, wo der Schwerbehindertenausweis klar festlegt, wer als Mensch mit schwerer Behinderung gilt und wer nicht. 

Dank der Behindertenrechtskonvention hat sich diese Unklarheit aber etwas verringert. Denn in der UNO-Konvention wird gleich im ersten Artikel klargestellt: «Der Begriff Menschen mit Behinderungen umfasst Menschen mit langfristigen körperlichen, seelischen, geistigen oder Sinnesschädigungen, die sie im Zusammenwirken mit verschiedenen Barrieren daran hindern können, gleichberechtigt mit anderen uneingeschränkt und wirksam an der Gesellschaft teilzunehmen».

Auslegungsfragen und Verbesserungspotentiale bei der Barrierefreiheit

Beim Thema Barrierefreiheit scheiden sich die Geister. Während Manche grosse Fortschritte in diesem Bereich sehen, argumentieren andere hingegen, dass nur in einigen Teilen etwas erreicht wurde. Recht haben zu einem gewissen Grad aber beide Seiten, denn was genau zur Barrierefreiheit gehört und ab wann diese erreicht wurde ist eine Sache der Auslegung. 

Hinsichtlich der Zugänglichkeit von öffentlichen Einrichtungen und Verkehrsmitteln, wie zum Beispiel zu Zügen, Bussen oder Gemeindegebäuden, hat sich die Situation in der Schweiz seit der Einführung des Behindertengleichstellungsgesetz verbessert. Für viele geht der Fortschritt aber immer noch nicht weit genug und vor allem die Umsetzung zu langsam.

SBB-Zug fährt entlang eines Sees.  | © pixabay In Sachen öffentlicher Verkehr ist schon einiges passiert. (pixabay)

Weiter gilt als problematisch, dass beim Begriff der «Barrierefreiheit» oft nur Personen, die auf einen Rollstuhl angewiesen sind, gemeint sind. Dabei bedeutet «Barrierefreiheit» auch freien Zugang zu Informationen. So müssten beispielsweise sämtliche Informationen von öffentlichem Interesse auch für Menschen mit einer Seh- oder Hörbehinderung zugänglich gemacht werden, was aber häufig gar nicht oder nur teilweise der Fall ist.

Zwar ist beispielsweise im Bundesgesetz über Radio und Fernsehen (RTVG) festgelegt, dass Fernsehveranstalter mit nationalem oder sprachregionalem Programmangebot einen angemessenen Anteil der Sendungen in einer für hör- und sehbehinderte Menschen geeigneten Weise aufbereiten müssen. Was das aber konkret heisst, ist völlig offen. Während beispielsweise mittlerweile 65 Prozent der Beiträge des SRF untertitelt sind und sich dieser Prozentsatz bis 2022 auf 80 Prozent erhöhen soll, geht das einigen Aktivisten und Betroffenen nicht weit genug – diese fordern 100 Prozent. 

Beim Thema Audiodeskription für sehbehinderte Menschen gibt es derweil noch grösseren Nachholbedarf. Denn mit der Unterzeichnung der UN-Konvention müsste auch dafür gesorgt werden, dass Internetangebote aus der Schweiz so dargestellt werden, dass die Audioprogramme sie lesen können, dies ist oft allerdings noch nicht erfolgt. Im Bereich der Barrierefreiheit wurde also immerhin schon ein Anfang gemacht, doch um Menschen mit Behinderungen gerecht zu werden, muss noch einiges getan werden

Informierung und Sensibilisierung der Gesellschaft – die Schweiz auf dem richtigen Weg

Nach der Behindertenrechtskonvention muss der Informationsfluss jedoch auch in die umgekehrte Richtung fliessen können – die Sensibilisierung und Informierung der Gesellschaft ist deshalb von äusserster Bedeutung. In der Schweiz sieht die Lage dabei nicht schlecht aus. Viele Behindertenorganisationen wie zum Beispiel Pro Infirmis betreiben intensive Sensibilisierung der Bevölkerung für die Belange von Menschen mit Behinderung. Die Förderung der Inklusion von Menschen mit Behinderung, die die UNO-Konvention ebenfalls verlangt, ist auch bereits in der Schweizer Bundesverfassung und im Behindertengleichstellungsgesetz verankert.

Trotzdem reicht es nicht, sich auf den Lorbeeren auszuruhen. Es ist wichtig dass die Schweizer Gesellschaft aus den Erfahrungen anderer Staaten lernt und dort funktionierende Prozesse in das Schweizer Konzept einbaut.

Zu viele Hürden für ein selbstbestimmtes und selbstständiges Leben

Beim Wohnen fokussiert die Schweiz gemäss des Schattenberichts von Inclusion Handicap bei Menschen mit Behinderungen noch stark auf institutionelle Wohnformen. Unterstützungsleistungen für selbständiges Wohnen seien unzureichend, insbesondere bestehen Hürden beim Zugang zum Assistenzbeitrag der IV. Aus diesen Gründen ist es vielen Menschen mit Behinderungen heute nicht möglich, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Ein Leben in der Gemeinschaft, mit gleichen Wahlmöglichkeiten betreffend Wohnsitz und Wohnform, bleibt ihnen verwehrt.

Viel Verbesserungspotential bei der Bildung

Auch im Bildungsangebot herrscht grosser Handlungsbedarf, auch wenn in diesem Bereich in letzter Zeit einige kleinere Fortschritte erzielt werden konnten. Denn aufgrund der unterschiedlichen kantonalen Regelungen ist es für Eltern, je nach Wohnort, immer noch sehr schwer, eine geeignete und integrationswillige Schule für ihr Kind mit Behinderung zu finden. Grundsätzlich vorgesehen ist nämlich lediglich ein bedingter Vorrang der integrativen Beschulung.

Vor allem Kinder mit Hörbehinderung werden in separate Schulen geschickt, die teils nur ungenügend eine Grundschulbildung gewährleisten können. So ist zum Beispiel die Deutschschweizer Gebärdensprache erst im Kanton Zürich anerkannt und wird in den Schulen völlig ausgeklammert. Durch ein mangelndes Grund- und Mittelschulangebot für Schüler mit Behinderungen ist diesen der Zugang zu einem Studium oft praktisch verwehrt.

Wer dann doch soweit kommt ein Studium anzutreten, muss sich mit vielen weiteren Hindernissen befassen, denn bei der Umsetzung der Anpassungen der Studien- und Prüfungsbedingungen für Studierende mit Behinderung hapert es trotz des Behindertengleichstellungsgesetzes immer noch. Gebärdensprachdolmetscher, Lesegeräte für sehbehinderte Studierende oder Förderungen in bestimmten Bereichen müssen trotz der bestehenden Rechtslage hart erkämpft werden. Die Studierenden scheitern häufig an der Bürokratie oder dem Unwillen der Dozierenden, entsprechende Anpassungen anzunehmen. Eine Einforderung über den rechtlichen Weg dauert lange und ist mühsam und wird deshalb meist gar nicht erst eingeschlagen – auf Kosten der Bildung der Betroffenen.

Ein Kind löst Aufgaben in einem Hausaufgabenheft. | © pexels Das Schweizer Bildungssystem ist noch längst nicht inklusiv. (pexels)

Stellensuche und Arbeitsmarkt – weiterhin grosse Probleme

Die Behindertenrechtskonvention verlangt , dass die Vertragsstaaten dafür sorgen müssen, dass Menschen mit Behinderungen die Chance bekommen, «ihren Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen, die in einem offenen, integrativen und für Menschen mit Behinderungen zugänglichen Arbeitsmarkt und Arbeitsumfeld frei gewählt oder angenommen wurde».

Doch die Lage in der Schweiz ist hinsichtlich dieser Thematik alles andere als optimal. Menschen mit Behinderungen fallen bei der Suche nach Personal meist während der ersten Ausleserunde schon weg, oder scheitern daran, dass sie aufgrund systemischer Mängel über weniger Ausbildung verfügen. Es gibt zwar die Möglichkeit, mit den bestehenden Rechtsinstrumenten sein Recht auf Arbeit einzufordern. Doch aufgrund der schwierigen Beweissituation und der eher unsicheren Rechtslage wehren sich viele Betroffene nicht gegen die erlittene Benachteiligung auf dem Arbeitsmarkt. Die Stiftung MyHandicap möchte zu einem inklusiven Arbeitsmarkt beitragen und hat dazu die EnableMe Jobplattform lanciert. Hier finden sich Jobs und Informationen für Stellensuchende mit Behinderungen – sowie auch Informationen für Unternehmen.

Monitoring und staatliche Anlaufstellen – mehr Anstrengungen sind gefragt

All diese aus der Behindertenrechtskonvention und dem Behindertengleichstellungsgesetz ableitbaren Rechte könnten besser durchgesetzt werden, wenn eine unabhängige Stelle die Umsetzung und Einhaltung überwachen würde. Und durch den Beitritt zur UN-Konvention verpflichtet sich die Schweiz dazu, in diesem Bereich Fortschritte zu erzielen.

Leider ist in der Schweiz nicht wirklich festgelegt, wer diese Aufgabe ausführt. Bisher ist von staatlicher Seite aus für die Überwachung der Einhaltung der Behindertenrechtskonvention hauptsächlich das seit 2011 bestehende «Kompetenzzentrum für Menschenrechte» zuständig. Gleichzeitig sind momentan aber weiterhin viele verschiedene Instanzen für das Monitoring in ihren einzelnen Bereichen zuständig. Ein profesionelles Monitoring, dass auch relevante Gerichtsurteile sowie Behördenentscheide sammelt und aufbereitet, wäre jedoch extrem wichtig, nur schon um eine Analyse für Frühinterventionen zu ermöglichen. 

Viele der Monitoring Aufgaben wurden in der Vergangenheit auch durch die Fachstelle Égalité Handicap und das Eidgenössisches Büro für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen (EBGB) wahrgenommen. Für ein Sicherstellung einer umfangreichen und unabhängigen Überwachung verfügen diese Institutionen aber nicht über genügend Ressourcen. Insgesamt herrscht also weiterhin grosser Verbesserungsbedarf im Bereich der staatlichen Aufsicht und des Monitorings. 

Ein weiter Weg bis zur echten Inklusion

Die Schweiz hat sich seit der Einführung des Behindertengleichstellungsgesetzes schon ein ganzes Stück in die richtige Richtung bewegt, doch in vielen Punkten steht die Inklusionsfrage noch ganz am Anfang. So zeigt die erste Prüfung zur Umsetzung der UN-BRK im März 2022, dass die Schweiz die Anforderungen weitestegehend noch nicht erfüllt hat. Oder wie es Caroline Hess-Klein, Abteilungsleiterin Gleichstellung Inclusion Handicap ausdrückt:  «Zwischen den Anforderungen der BRK und der Realität der Menschen mit Behinderungen in der Schweiz sind noch Welten. Diese in Einklang zu bringen sehe ich als zentrale Aufgabe der Behindertenorganisationen in den nächsten Jahren.»


Ist dieser Artikel lesenswert?

Fehler gefunden? Jetzt melden.

Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?