Die Wirkung des Behindertengleichstellungsgesetzes
Seit dem 1. Januar 2004 ist in der Schweiz das Behindertengleichstellungsgesetz (BehiG) in Kraft. Dessen Wirkung wird von allen Seiten als grundsätzlich positiv eingestuft. Aber auch heute ist Gleichstellung noch keine Selbstverständlichkeit – es bleibt weiterhin viel zu tun.
Das Behindertengleichstellungsgesetz wurde 2004 in Kraft gesetzt. (Gesellschaftsbilder, Jörg Farys)
Das 2004 eingeführte Bundesgesetz über die Beseitigung von Benachteiligungen von Menschen mit Behinderungen (Behindertengleichstellungsgesetz BehiG) hat zum Zweck, Benachteiligungen zu verhindern, zu verringern oder zu beseitigen, denen Menschen mit Behinderung ausgesetzt sind. Es setzt Rahmenbedingungen, die es Menschen mit Behinderungen erleichtern sollen, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen und insbesondere selbstständig soziale Kontakte zu pflegen, sich aus- und fortzubilden und eine Erwerbstätigkeit auszuüben.
Um dies zu Erreichen regelt das Behindertengleichstellungsgesetz den Zugang zu Bauten und Anlagen, die Inanspruchnahme des öffentlichen Verkehrs und die Zugänglichkeit von privaten sowie öffentlichen Dienstleistungen aller Art, insbesondere von Aus- und Weiterbildungsangeboten. Soweit die Theorie – wie aber sieht es mit der Umsetzung des Gesetzes aus?
Allgemeiner Eindruck – Das Gesetz zeigt Wirkung
Das Eidg. Büro für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen (EBGB), eine externe Evaluation im Auftrag des Bundes und verschiedene Behinderten-Organisationen sind sich einig, dass das Gesetz Wirkung zeigt. Vor allem in den Bereichen in denen klare Vorgaben und Zuständigkeiten vorgesehen sind, wurden die gewünschten Ergebnisse erzielt. Allerdings gibt es auch Bereiche in denen noch deutliches Verbesserungspotential existiert.
Öffentlicher Verkehr – Grosse Fortschritte
Laut einer externen Evaluation im Auftrag des Bundes ist der öffentliche Verkehr ein Bereich, in dem besonders grosse Erfolge erzielt werden konnten. Hier hat das Behindertengleichstellungsgesetz eine Modernisierung und Anpassung an die heutigen Bedürfnisse ermöglicht. Insgesamt wurden für Menschen mit Behinderungen, wie z.B. Rollstuhlfahrende und Menschen mit Sinnesbehinderungen, sowie für weitere gesellschaftliche Gruppen (zum Beispiel Personen mit Kinderwagen und gehunsichere ältere Menschen) grosse Fortschritte erzielt.
Deshalb wird dem Behindertengleichstellungsgesetz von vielen Akteuren ein grosser Einfluss auf die verbesserte Benutzbarkeit des Bahn- und Busverkehrs eingeräumt.
Bauten & Anlagen – einige Schritte in die richtige Richtung
Nach Angaben der externen Evaluation hat das Behindertengleichstellungsgesetz im Baubereich durchaus eine sensibilisierende Wirkung erzielt und dazubeigetragen, dass bestehende Mindeststandards vermehrt eingehalten wurden. Auch hinsichtlich verbesserter Zugangsmöglichkeiten zu Gebäuden seien dank dem Behindertengleichstellungsgesetz grosse Fortschritte erzielt worden.
Aber es gibt nicht nur positive Meldungen im Beich der Bauten und Anlagen. Die Realisierung der Gleichstellung ist in den Augen der meisten beteiligten Fachleute zwar teilweise erreicht worden, aber nicht vollumfänglich gelungen. Grosse Fortschritte gab es insbesondere im öffentlichen Raum, im privaten Bereich dagegen hat sich allerdings weniger zum positven hin verändert.
Dienstleistungen – ein geteiltes Bild
Deutliche Fortschritte werden bei öffentlichen Kommunikations-Dienstleistungen verzeichnet. So sind zum Beispiel die Internetauftritte des Bundes heute weitgehend barrierefrei. Weniger erfreulich sieht es auf kantonaler Ebene aus, wo noch kaum konkrete Richtlinien oder Standards existieren und entsprechend nicht alle Kantone oder Kommunen barrierefreie Zugänge zu ihren Internetangeboten haben.
Bei Privaten Dienstleistungen im Alltagsbereich sieht es auch schlecht aus. Bei einer Umfrage, im Rahmen der bereits erwähnten externen Evaluation, gaben 60 Prozent der Befragten an, dass im privaten Dienstleistungsbereich maximal teilweise Barrierefreiheit existiere, während 40 Prozent angaben, dass dies gar nicht der Fall sei.
Bildungsbereich – grosser Handlungsbedarf
Unbestritten ist der Handlungsbedarf im Bildungsbereich, wo das heutige Sonderschulsystem Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen ein breites Schul- und Therapieangebot ermöglicht. Im Vordergrund sollte aber die Abkehr von dem an den Defiziten orientierten Ansatz stehen, also die Abkehr von einem System, das die separate Ausbildung von Kindern mit und Kindern ohne Behinderung mit sich bringt.
Ein Bericht der EBGB hält allerdings fest, dass der Anteil von Kindern in Sonderklassen und Sonderschulen, trotz dem Trend zur schulischen Integration, vor allem in den deutschsprachigen Kantonen in den letzten Jahren eher zugenommen hat.
Erwerbsleben – nur vereinzelte Fortschritte
Auch hinsichtlich der verbesserten Anstellungsbedingungen von behinderten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern beim Bund besteht weiterhin grosser Verbesserungsbedarf. Zwar gab es einige kleinere Fortschritte hinsichtlich der Beschäftigungsverhältnisse von Menschen mit Behinderungen beim Bund, aber ansonsten konnten keine relevanten Veränderungen bezüglich der generellen Erwerbschancen erreicht werden. Insbesondere konnte die ursprünglich erhoffte Signalwirkung an die Kantone, für das Erlassen weiterer kantonaler Behindertengleichstellungsgesetze im Erwerbsbereich, nicht erzielt werden.
Gleichstellung ist noch keine Selbstverständlichkeit
Insgesamt lässt sich also ein gemischtes Fazit ziehen. Neben einigen erfreulichen Fortschritten gibt es auch mehrere Bereiche in denen viel Verbesserungspotential vorherrscht. Deshalb lässt sich feststellen, dass Gleichstellung heute noch keine Selbstverständlichkeit ist und der Abbau von Benachteiligungen für Menschen mit Behinderungen weiterhin mit grossem Engagement angegangen werden muss.
Die DOK (Dachorganisationenkonferenz der privaten Behindertenhilfe) und Egalité Handicap konstatieren, dass seit dem Inkrafttreten des Behindertengleichstellungsgesetz wichtige Schritte zur Gleichstellung gelungen sind. Sowohl Organisationen wie Fachstellen hätten heute auf rechtlicher Basis ein beachtliches Instrumentarium zur Prävention und Sensibilisierung zur Verfügung. Menschen mit Behinderung hätten heute die Möglichkeit, sich gegen Benachteiligungen auf dem rechtlichen Weg zur Wehr zu setzen. Allerdings zeigen sich hier Defizite bei der Durchsetzung von konkreten Ansprüchen, denn ohne professionelle und kostenlose Beratung sind viele Menschen nicht in der Lage, ihre Rechte auch wirksam einzufordern.
Mangelnde Sensibilisierung
Auch eine mangelnde Sensibilisierung sowohl bei Behörden wie auch privaten Unternehmen halten die Organisationen fest. Dafür verantwortlich machen sie eine weder auf Bundesebene noch in den meisten Kantonen vorliegende Gleichstellungsstrategie, die es erlauben würde, die Gleichstellung systematisch ziel- und prozessorientiert zu fördern. Als besonders problematisch betrachten die Behindertenorganisationen dabei, dass das Behindertengleichstellungsgesetz für Menschen mit psychischer Behinderung praktisch unwirksam ist.
Grosser Handlungsbedarf in den Kantonen
Grossen Handlungsbedarf sehen DOK und Egalité Handicap auf gesetzlicher Seite und vor allem bei den Kantonen. So fordern sie unter anderem Ergänzungen des Behindertengleichstellungsgesetz in den Bereichen Arbeit und private Dienstleistungen. Von den Kantonen werden Gleichstellungsgesetze in den Bereichen Grundschule, Arbeit, Aus- und Weiterbildung und Dienstleistungen sowie Fachstellen zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung gefordert.