Die hübsche junge Frau, gerade fertig mit ihrer Pharmazie-Ausbildung und im ersten Job eingestiegen, betrachtet sich beim Vorübergehen im Schaufenster und ist zufrieden mit sich. Ihre Welt ist in Ordnung. Sie tanzt leidenschaftlich gern, spielt Tennis und fährt Ski. So erinnert sich die 55-jährige Ruth Knor heute an ihre jungen Jahre zurück.
Sie erfüllt sich Träume. Ihre erste grosse Reise führt sie 1980 nach Kanada, um dort Heliskiing zu betreiben. Dabei werden Skifahrer von einem Helikopter auf einen Berg hinaufgebracht, um dann auf unberührten Pisten im Tiefschnee zu fahren. Ein schrecklicher Unfall ereignet sich. Aus Traum wird Alptraum. Ruth Knor ist von einer Sekunde zur anderen querschnittgelähmt.
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Wiedereingliederung in alten Beruf gescheitert
Die darauffolgenden vier Jahre sind für sie eine «Schleudertour zwischen Hoffen und Bangen». Nach der Rehabilitation, die sie vorwiegend in verschiedenen Kliniken, OP-Sälen und Rehaeinrichtungen verbringt, kommt sie in eine «orientierungslose, suchende, depressive Phase», erzählt Knor. «Alles musste neu definiert werden: der Umgang mit dem neuen-alten Körper, die sportlichen Aktivitäten, das Privatleben.»
Alte Freunde wenden sich von ihr aus Hilflosigkeit ab. Auch sie selbst fühlt sich ratlos und verzweifelt. Es beginnt ein «Wechselspiel zwischen sich nach draussen wagen und sich verstecken». Jobmässig läuft nichts mehr. Alle Versuche, im alten Beruf wieder einzusteigen, scheitern am Rollstuhl.
«Wieder der Macher in meinem Leben sein»
In der «neuen Zeit», wie sie den Lebensabschnitt nach ihrem Unfall bezeichnet, begreift sie allmählich, dass es nicht auf die Schwere des Handicaps ankommt. Sondern darauf, «wie ich lerne, damit umzugehen, wie ich es als meine Aufgabe erkenne und akzeptiere. Und was ich daraus mache. Das Akzeptieren der neuen Situation war letztlich der Einstieg in mein neues Leben.»
Von da ab ist sie wieder der Macher in ihrem Leben. Sie erfüllt sich wieder Träume und wird Mutter. Beruflich orientiert sie sich neu und gibt Nachhilfeunterricht in Englisch und Mathematik an einem Abendgymnasium. Später bildet sie sich zur Fusspflegerin weiter und findet eine Stelle. Anschliessend bewirbt sie sich bei einem Fachgeschäft für Rehamittel. Sie wird sofort als Beraterin übernommen. Zehn Jahre lang unterstützt sie Betroffene «überzeugend aus meiner eigenen Betroffenheit heraus».
Leben erfüllend gestalten
Auch Sport wird wieder ein Thema. Sie beginnt Tischtennis zu spielen. Später knüpft sie an ihr altes Hobby, dem Tennis, an und nimmt an internationalen Rollstuhltenniswettkämpfen teil. Dadurch kommt sie mit ihrer alten Leidenschaft in Berührung: dem Tanzen. Im Rahmen einer Sportveranstaltung sieht sie einer Tanzvorführung mit einer Rollstuhlfahrerin und einem Fussgänger zu. Ruth Knor ist sofort Feuer und Flamme.
Sie tritt demselben Rollstuhltanzverein bei, entwickelt zusammen mit Tanzpartnerinnen und -partnern einen eigenen «Freestyle»-Tanzstil und tanzt sich zehn Jahre lang durch die ganze Welt. Sie absolviert Wettkämpfe und Showauftritte. Bis heute ist das Tanzen ihre Leidenschaft. Der Sport hilft ihr, sich neu zu definieren. Insbesondere im Tanzsaal bekommt sie ihr Selbstvertrauen wieder zurück und baut ein «positiveres Verhältnis zu ihrem ‚defekten’ Körper auf».
Während sie tanzt, kann sie eine Botschaft vermitteln:
Wechselnde Stationen im Beruf
Der Sport beflügelt Ruth Knor. Quasi parallel zu ihrer sportlichen Karriere entwickelt sich ihre berufliche ebenfalls weiter. Durch Tanzauftritte wie etwa auf einer grossen internationalen Rehamesse kommt sie unter anderem an einen Kontakt, der zu einer mutigen Veränderung in ihrem Job führt.
Medical Service, ein Unternehmen, das Inkontinenzprodukte herstellt, bietet ihr 2001 an, den Vertriebsaussendienst in Bayern zu übernehmen. Sie kündigt ihren alten Job und steigt ein. Trotz ihrer Mobilitätseinschränkung entscheidet sie sich für einen Beruf, bei dem sie mehr Zeit auf den Autobahnen verbringt als im Büro. Seit fast zehn Jahren ist sie dabei – ohne «Schwierigkeiten und Probleme», wie sie berichtet.
Kundenbesuche in Österreich
Inzwischen ist sie für den Export nach Österreich zuständig. Sie arbeitet in der Regel von zuhause aus. Wenn sie für einige Tage zu ihren Kunden – Kliniken, Fachkliniken und Rehaeinrichtungen – fährt, nimmt sie den Firmenwagen. Die Berufsgenossenschaft übernahm die Kosten für den Einbau eines Rollstuhlverladegeräts sowie eines elektronisch gesteuerten Gas-Brems-Systems.
In dieses Auto packt sie ihr Büro sowie ihr Lager, wenn ein Kundenbesuch bevorsteht: «Prints, Muster, Messe-Screens und so weiter». Ihre Aufgabe ist es, den Entscheidern die neuen Produkte vorzustellen und ihr Personal im Umgang mit den Produkten – vorwiegend Katheter – zu schulen.
« Trotz einer erheblichen körperlichen Einschränkung ist das Leben lebenswert. Man kann mobil sein, attraktiv sein, ein relativ normales Leben führen und einfach Spass am Leben haben. »
Mühsame Suche nach barrierefreien Hotels
Es ist für sie persönlich sehr wichtig, dass sie «ohne Hilfe selbstständig arbeiten kann» – nach diesem Kriterium sucht sie ihre Jobs aus. Mühsam findet sie allerdings die Suche nach den «barrierefreiesten Hotels» für die Übernachtungen ihrer Geschäftsreisen. Das sei «leider teilweise immer noch eine Odyssee sowohl in Deutschland als auch in Österreich», klagt Ruth Knor.
Während ihrer langjährigen Tätigkeiten «überwiegend im klinischen Bereich» gelangt sie zu der Erkenntnis, dass Menschen mit Behinderung immer besser versorgt und immer früher entlassen würden. Durch diesen «Schnelldurchlauf» blieben aber später immer mehr Fragen offen. Daher ist ihr das Gespräch mit anderen Betroffenen ein persönliches Anliegen. Auch aus dieser Motivation heraus wird sie Botschafterin für EnableMe.
Beratung für Betroffene – eine neue Herausforderung?
Ruth Knor wäre nicht Ruth Knor, dächte sie nicht schon daran, ihrem Berufsleben eine neue Richtung zu geben. Am liebsten würde sie eine Beratungsstelle eröffnen: «Gerne auch mit mobiler Beratung. Ich möchte gern vermitteln, dass die Welt nicht still steht und dass man so beweglich sein sollte, um unsere eigenen Ziele erreichen zu können. Auch wenn es nicht immer gelingt, mit den anderen Schritt zu halten.» Denn «Mobilität fängt im Kopf an», weiss sie.