«Mut tut gut» – Christiane Fürll über Sex mit Querschnittlähmung
Für viele Menschen ist Sexualität ein wichtiger Bestandteil eines erfüllten Lebens. Personen, die durch eine Rückenmarksverletzung querschnittgelähmt, Tetraplegiker oder Paraplegiker sind, stellen sich möglicherweise die Frage, ob und wie sie ein sexuell erfülltes Leben führen können. EnableMe-Expertin Christiane Fürll klärt auf.
Querschnittgelähmte beschäftigt früher oder später die Frage, ob ein erfülltes Sexualleben noch möglich ist. (unsplash)
Ein Unfall oder eine Krankheit, die zu einer Lähmung in Form einer Paraplegie oder Tetraplegie führen, verändern das Leben der Betroffenen grundlegend. In fast jedem Lebensbereich stellen sich an Tetraplegiker oder Paraplegiker enorme Herausforderungen. Bei all den notwendigen Anpassungsprozessen steht das Thema Sexualität oft nicht im Vordergrund – viele Menschen beschäftigt dieses Thema aber besonders.
Für wen die Sexualität schon vor dem Unfall eine grosse Rolle gespielt hat, für den wird sie auch nach dem einschneidenden Ereignis wichtig sein. Und wo die Sexualität eine eher untergeordnete Rolle gespielt hat, bleibt dies möglicherweise auch so.
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Grosse Verunsicherung bei den Betroffenen
Die Funktion der Geschlechtsorgane kann durch die Lähmung Veränderungen aufweisen: Funktionsstörungen wie Erektions- oder Ejakulationsstörungen beim Mann oder eine ausbleibende Lubrikation (Befeuchtung) der Vagina der Frau können Anzeichen einer solchen Veränderung sein. Auch kann die Sensibilität im Genitalbereich verändert sein oder in manchen Fällen auch fehlen. Diese körperlichen Merkmale und ihre Folgen können jedoch auch eine seelische, psychosoziale Dimension aufweisen.
Menschen mit einer Querschnittlähmung müssen ihren «neuen» Körper zuerst kennenlernen. Es kann eine grosse Herausforderung darstellen, den eigenen Körper so zu akzeptieren, wie er ist – gerade in einer stark ableistischen Gesellschaft. Auch im Bereich der Sexualität müssen eventuell bisherige Überzeugungen über Bord geworfen werden. Wer sich mit der Veränderung auseinandersetzt, hat gute Chancen, auch mit einer Querschnittlähmung ein erfülltes Sexualleben zu führen.
Im nachfolgenden Interview äussert sich EnableMe-Fachexpertin Christiane Fürll über die Information der Betroffenen, die möglichen Störungen der Sexualfunktionen, Medikamente und Hilfsmittel und die wichtige Generierung neuer Empfindungen.
Häufig liegen die Prioritäten bei Therapie und Reha in anderen Bereichen, auch ist die Verweildauer im Krankenhaus inzwischen ausgesprochen kurz und die Personalsituation knapp – so gesehen, nein. Viele Informationen laufen «untereinander», sprich «Frisch-Verletzter» tauscht sich mit einem erfahrenen Betroffenen aus, oder es werden Fortbildungen oder «Stammtische» angeboten. In Koblenz haben wir dies vor zirka zwei Jahren initiiert. Wir treffen uns alle zwei Monate auf der Querschnittstation und bieten Informationen, Erfahrungsaustausch und Fachberatung an. Dies wird sehr gut angenommen.
Zeit! (lacht) Ich informiere grundsätzlich ausführlich über die normale Sexualfunktion und verdeutliche dabei, welche Abweichungen durch eine Querschnittlähmung entstehen können –da das sehr unterschiedlich ist. Je nach Läsionshöhe und kompletter/inkompletter Läsion ist es schwierig, allgemeingültige Aussagen zu machen. Wichtig für alle ist in jedem Fall das Thema Kontinenz. Ohne gutes Blasen-/Darmmanagement kann im Bett vieles ganz fürchterlich daneben gehen.
Sowohl Frauen als auch Männer haben sehr oft Probleme mit der verminderten oder zunächst nicht vorhandenen Sensibilität. Bei Männern kommt es zu Störungen der Erektion und Ejakulation, bei Frauen häufig zu einer verminderten Lubrikation (Befeuchtung der Vulva).
Verschiedene Medikamente, wobei man bei den Mitteln auf die jeweiligen Besonderheiten hinweisen sollte. Bei Männern, die eine Erektion haben, welche aber für den Geschlechtsverkehr nicht ausreicht, empfehle ich gerne Stauringe. Frauen können ihre Sensibilität und manchmal auch Lubrikation mit Vaginalkugeln beeinflussen – in jedem Fall sollte aber zunächst mit Gleitmittel nicht gespart werden.
Sexualität findet ja nicht ausschliesslich in den Geschlechtsorganen statt, das grösste Sexualorgan ist unsere Haut und da gibt es jede Menge Bereiche, in denen die Empfindung nicht verloren ist. Im Gegenteil, oft ist es so, dass in den nicht betroffenen Bereichen mehr gefühlt wird und die erogenen Zonen in diesem Bereich sehr empfindsam sind.
Das ist sehr unterschiedlich und hängt natürlich auch vom Stellenwert der Sexualität vor dem Unfall ab. Da gilt es auch die Partner der Betroffenen zu fragen, es ist manchmal sehr interessant, wie unterschiedlich hier die Informationen sind.
Ich sage immer «Mut tut gut», man muss miteinander reden, sich Zeit nehmen und geben und bei «Pannen» gelassen reagieren. Eine hundertprozentige Garantie hat man nie, oder? Veränderungen sind auch Chancen und wenn man sie als solche begreift, kann ein durchaus erfülltes Miteinander möglich sein.