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«Ich habe eine zweite Chance für das Leben bekommen und mache das Beste daraus.»

Siril verlor im Jahr 2016 innerhalb von einer Woche 95 Prozent ihrer Sehkraft. Acht Wochen später war sie vollständig blind. Mit 20 Jahren erhielt sie ihre zweite Augenkrebs-Diagnose. Im Gespräch erzählt sie über ihre Erfahrungen, wer ihr Halt gegeben hat, was ihre Berufswünsche sind und wie sie ihre Lebensfreude zurückgewonnen hat.

Weg der durch einen Tannenwald führt. | © pexels

In ihrer Freizeit verbringt Siril viel Zeit in der Natur und hört den Vögeln zu. (pexels)

Du teilst auf deiner Website und deinem Blog verschiedenste Erfahrungen sowie Informationen über Krebs und Sehbehinderungen. Weshalb hast du dich dafür entschieden, eine eigene Website zu erstellen und deine Geschichte zu teilen?

Ich bin im Jahr 2016 innerhalb einer Woche aufgrund meiner Antikörper erblindet. Während dieser Zeit habe ich viel im Internet recherchiert und bin dort auf ein Inserat für einen Netzhaut-Chip gestossen. Dieser ist aber sehr teuer und wird von der Krankenkasse nicht finanziert. Trotzdem haben mir die Informationen über den Netzhaut-Chip Hoffnung gegeben und mich über Wasser gehalten. Mit meiner eigenen Website möchte ich Menschen in ähnlichen Situationen unterstützen, damit sie spüren, dass sie nicht alleine sind und es andere gibt, die Ähnliches durchleben. Auch wollte ich mit dem Blog die Gesellschaft über die Themen Sehbehinderung und Krebs sensibilisieren. Das Schreiben gab mir ausserdem Kraft, um mit meinem Schicksal umzugehen. So konnte ich gewisse Dinge aus einer anderen Perspektive betrachten. Sehr wertvoll für mich ist auch, dass ich auf der Website Spenden sammeln kann, mit welchen ich Mehrkosten finanzieren kann, die ich selbst tragen muss.

Du hast auf deiner Website auch diverse Informationen zum Umgang mit sehbehinderten Personen. Wie erlebst du das selber? Gehen die meisten Menschen mit dir um, wie du es dir wünscht?

Viele Menschen sind sehr verunsichert, wie sie mit mir umgehen sollen. Da sie häufig keine anderen Personen mit einer Sehbehinderung kennen, haben sie gewisse Vorstellungen, wie eine blinde Person ist. Gerade Aussenstehende, die mich nicht kennen, wissen oft nicht, wie sie sich verhalten sollen. Meistens ist es ein gegenseitiges Herantasten und die Verunsicherung legt sich nach einiger Zeit (Anm. d. R.: Lesen Sie dazu auch Umgang mit Menschen mit Sehbehinderung).

Ist es dir schwergefallen, nach der zweiten Krebsdiagnose deine neue Situation zu akzeptieren?

Ich hatte bereits als Baby das erste Mal Augenkrebs und war durch die Folgen der Krebstherapie auf einem Auge erblindet. Danach hatte ich aber eine unbeschwerte Kindheit und Jugend. Ich konnte eine Berufslehre absolvieren und Auto fahren – ich hatte also wirklich keine Einschränkungen. Mit 18 Jahren haben dann an einem Zehen im rechten Fuss starke Schmerzen eingesetzt. Diese wurden mit Kortison behandelt und ich hatte dadurch keine Beschwerden mehr. Etwa anderthalb Jahre später hatte ich einen geschwollenen Lymphknoten, den ich meinem Hausarzt zeigte, welcher darin aber keine Gefahr sah. Ein halbes Jahr darauf, während ich die Berufsmatura machte, habe ich dann innert kurzer Zeit mein Sehvermögen verloren. Der Augenarzt hat jedoch nichts entdeckt und mir gesagt, dass ich nur eine Lesebrille benötige, die ich in einem Supermarkt kaufen könne. Nachdem mein Sehvermögen sich dramatisch verschlechtert hatte, wurde ich nach meinem Wunsch in Luzern stationär untersucht. Dort hiess es, dass es sich um ein Virus handelt und ich nach zwei Monaten wieder sehen könne. Nach sieben Wochen verbesserte sich aber gar nichts. Während dieser ganzen Zeit habe ich mich sehr verunsichert gefühlt. Als mir gesagt wurde, dass alles innerhalb weniger Wochen wieder gut wird, war ich natürlich unglaublich glücklich. Umso schwieriger war es dann, als ich merkte, dass dies nicht der Fall sein wird. Auch fühlte ich mich unverstanden – gerade beim Augenarzt hatte ich das Gefühl, dass er mich nicht ernst nimmt, weil er mir gesagt hat, dass ich vermutlich nur Angst vor der Biologie-Prüfung habe.

Durch die Entfernung des angeschwollenen Lymphknotens wurde dann schlussendlich der Krebs entdeckt. Es handelte sich um einen Augenkrebs, der sich nicht wie gewöhnlich hinter dem Auge, sondern beim zweiten Zehen im rechten Fuss ausgebreitet hatte. Aufgrund meiner Antikörper, die versuchten, den Krebs zu bekämpfen, wurde meine Netzhaut irreparabel geschädigt.

« Zuerst fand ich, dass ich lieber blind sterben möchte, als blind weiterzuleben. »
Siril Wallimann

Ich wurde während eines Jahres stationär im Spital mit zahlreichen Chemotherapien, einer Stammzellentransplantation und Bestrahlung behandelt. Andauernd hatte ich starke Nebenwirkungen wie Haarausfall, Übelkeit, Darmverschluss, Blutvergiftungen und vieles mehr, und der betroffene Zeh am rechten Fuss musste amputiert werden. Ich war erst die zweite Person, bei der sich der bösartige Augenkrebs in der rechten Körperseite mittels Knochenkrebs und Metastasen ausbreitete und die erste Person, die aufgrund der eigenen Antikörper nicht mehr sehen konnte. 

Während der Behandlung im Spital verspürte ich eine grosse Trauer und fühlte mich wie in einer schwarzen Schachtel eingesperrt. Ich wusste nicht, ob ich überleben werde, konnte aufgrund der starken Chemotherapie und der fehlenden Kraft nicht aus dem Bett gehen, war eine Zeit lang auf einen Rollstuhl angewiesen und wurde künstlich ernährt. Erst nach einem Jahr begann ich mich besser zu fühlen. Aber auch vier bis fünf Jahre später habe ich noch Cancer Fatigue – also eine krebsinduzierte Müdigkeit. Nach der langen Zeit im Spital stand dann aber nicht mehr die Krebserkrankung, sondern die Sehbehinderung im Vordergrund. Zuerst fand ich, dass ich lieber blind sterben möchte, als blind weiterzuleben. Es war zu Beginn sehr schwierig, damit umzugehen. Heute möchte ich aber das Beste aus der Situation machen und kämpfe dafür. Ich betrachte es nun so, dass mir die Blindheit das Leben gerettet hat. Denn sonst hätte man den Krebs nicht rechtzeitig gefunden. Nun habe ich eine zweite Chance für das Leben bekommen und mache das Beste daraus.

Siril teilt auf ihrem Blog ihre Erfahrungen mit zwei Krebserkrankungen und ihrer Sehbehinderung. Die Psychologie-Studentin veröffentlicht wertvolle Informationen und schreibt über ihre eigene Geschichte. Sie möchte so anderen Menschen in ähnlichen Situationen Unterstützung bieten sowie ihr Umfeld über ihr Leben informieren. Das Schreiben hat Siril geholfen, mit der Krankheit und Erblindung umzugehen. Im Interview erzählt die Obwaldnerin, die in ihrer Freizeit Klavier spielt, wie es zu diesem Blog gekommen ist. Ausserdem spricht sie darüber, wie sie mit der Krebserkrankung und der Erblindung umgegangen ist, was ihr dabei geholfen hat und was sie sich für die Zukunft wünscht. 

Ein Porträt von Siril Wallimann. | © Privataufnahme

Siril Wallimann spricht offen über ihre Leben nach dem Krebs.

Was hat dir beim Umgang mit der Erblindung geholfen? Welche Personen haben dir Halt gegeben?

Während des Spitalaufenthalts kam eine Informatikerin von der Access Tech zu mir ans Krankenbett, um mich in das Sprachprogramm «Jaws» einzuführen. Das gab mir sehr viel Kraft, da ich zum ersten Mal seit der Erblindung wieder etwas alleine machen konnte. Auch begann ich schon bald mit dem Orientierungstraining, damit ich die Angst verliere alleine nach draussen zu gehen. Zwei Monate nach dem Therapieende startete ich mit der Umschulung in Basel, die neun Monate dauerte. Es war wie ein erster Lichtblick, was trotz Blindheit eigentlich möglich ist.

Während der ganzen Zeit hat mir meine Familie sehr viel geholfen. Meine Mutter hatte ihre Arbeit verlassen, um mich zu unterstützen. Sie war die ganze Zeit immer bei mir. Und mein Vater hat sich um das Finanzielle gekümmert, da er für drei Personen verdienen musste. Auch mein Freund war eine grosse Unterstützung. Er hat mir immer das Gefühl gegeben, dass ich in Ordnung und ganz normal bin. Die ganze Verwandtschaft hat uns zudem unterstützt, indem sie beispielsweise mit dem Putzen halfen, da meine Mutter auch keine Kraft mehr hatte. Sie haben für uns gekocht, uns ins Spital gefahren und uns so entlastet. Zudem erhielt ich Unterstützung von der Gemeinde, Kirche sowie der Krebsliga und der Fachstelle für Sehbehinderung. Beispielsweise erhielt ich Briefe, die mich ermutigten. Auch mein Glaube hat mir viel Kraft gegeben. Und natürlich die Natur – ich verbringe viel Zeit in der Natur und insbesondere die Vögel bringen mich zum lächeln. Ich denke, solche Dinge schätze ich heute auf eine andere Art und Weise als zuvor.

Auf welche Hilfsmittel bist du im Alltag angewiesen bist? Zum Beispiel unterwegs, am Computer, beim Kochen?

Draussen benutze ich einen Blindenstock. Um mich anzukleiden, habe ich ein Farberkennungsgerät, damit ich nicht wie ein Clown aussehe. Im Studium habe ich Assistenzpersonen und auch sonst helfen mir andere Menschen – zum Beispiel beim Kochen oder Putzen. Auf den Klaviertasten habe ich Pünktchen, um die Tasten zu spüren. Rezepte zum Kochen speichere ich auf dem Laptop, den ich mit einem Sprachprogramm bediene. Um die Post zu lesen, verwende ich einen Scanner. Zudem habe ich ein spezielles Portemonnaie, in dem ich das Bargeld sortieren kann. Mithilfe eines PenFriends kann ich an verschiedensten Gegenständen Labels aufkleben. Das Smartphone bediene ich mit einem Sprachsystem und ich habe einige Spiele für blinde Menschen. Natürlich kommen immer neue Hilfsmittel dazu. So muss ich mir für das Praktikum in einer Rehaklinik beispielsweise eine spezielle Uhr kaufen. Jedoch sind solche Hilfsmittel auch sehr teuer und werden meistens nicht durch die Invalidenversicherung (IV) übernommen. Da bin ich dankbar, dass mir die Spenden über meine Website helfen, gewisse Hilfsmittel zu finanzieren.

Wie hast du den Umgang mit den verschiedenen Hilfsmittel gelernt? War es eine schwierige Umstellung?

Ich besuchte die Umschulung in Basel, wo ich den Umgang mit gewissen Hilfsmitteln erlernte. Ich hatte dort wie in der Schule einen Stundenplan und hatte beispielsweise am Morgen IT, wo ich lernte, den PC mit verschiedenen Tastenkombinationen zu bedienen, am Nachmittag Blindenschriftunterricht oder eine Berufsberatung. Zudem hatte ich auch dort wieder Orientierungsstunden, damit ich den Weg von dem Blindenheim bis in die Schule selber oder mit der Gruppe finden konnte. Aber das braucht viel Mut. Auch heute muss ich mich jedes Mal überwinden, alleine aus dem Haus zu gehen. Schade finde ich, dass der Fokus der Umschulung auf dem Sprachprogramm und weniger auf den lebenspraktischen Fähigkeiten lag. Wir lernten beispielsweise nicht, mit welchen Hilfsmitteln man kocht, putzt oder die Wäsche macht. Auch wurde der Freizeitbereich nicht besprochen. Mich hätte es sehr interessiert, welche Hobbys ich trotz Blindheit ausführen kann. 

Wann und weshalb hast du dich für ein Psychologie-Studium entschieden?

Im Spital hatte ich eine sehr enge Bindung zu einer Psychologin. Ich konnte mit ihr über Themen sprechen, über die ich mit meiner Familie oder meinem Freund nicht sprechen konnte. Also etwa, wie es ist zu sterben, welche Gefühle man dazu hat und andere Themen, die mich belasteten. Es hat mir gutgetan, mit einer unabhängigen Person darüber zu sprechen. Mit meiner Familie oder meinem Freund wollte ich nicht darüber sprechen, weil sie die ganze Situation ja auch unglaublich belastete und dies ihnen wahrscheinlich das Herz gebrochen hätte. Ich möchte in Zukunft in der Lage sein, Menschen in ähnlichen Situationen, solche Unterstützung anzubieten. Später möchte ich gerne in der Psychoonkologie mit Kindern und Jugendlichen arbeiten. Zudem würde mich auch eine Arbeit in der Palliative Care oder mit Menschen mit Sehbehinderung interessieren.

Wie waren oder sind deine Erfahrungen im Studium? Bist du auf Hilfe angewiesen oder stehen dir grundsätzlich alle Informationen barrierefrei zur Verfügung?

Zuerst hatte ich mit der Fachstelle Diversity Kontakt wegen des Nachteilsausgleiches. Ich musste abklären, dass ich meinen PC mitnehmen kann und die Vorlesungen aufzeichnen darf, was genehmigt wurde. Zudem arbeite ich mit der Schweizerischen Fachstelle für Sehbehinderte im beruflichen Umfeld (SIBU) zusammen. Die Dozierenden senden die Dokumente an die SIBU, und dort wandeln sie alles in ein barrierefreies Word-Dokument um, damit ich es am Laptop mit meinem Sprachsystem lesen kann. Jedes Semester schicke ich ein Mail an meine neuen Dozenten mit der Info, dass ich in ihrem Kurs bin, damit sie beispielsweise nicht einfach auf Grafiken zeigen, ohne diese zu erklären. Zusätzlich habe ich Assistenzpersonen in der Klasse, die mir zum Beispiel in der Statistik die Grafiken erläutern. Das Vor- und Nachbearbeiten beansprucht viel Zeit und ich habe mit dem Teilzeitstudium genug zu tun für die ganze Arbeitswoche.

Wie blickst du in die Zukunft?

Ich bin sehr optimistisch. Neben dem Masterstudium habe ich das Ziel, mit meinem Freund zusammenzuziehen. Denn die WG, in der ich gewohnt habe, hat mir das Selbstbewusstsein gegeben, dass ich selbständig wohnen und einkaufen kann. Generell habe ich ein gutes Gefühl in mir.

Wir danken Siril herzlich für ihre Offenheit und das Interview. Weitere Informationen zu Siril sowie zu den Themen Krebs und Sehbehinderung finden Sie auf ihrem Blog siril-wallimann.ch.


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