Skip to Content Skip to Mainnavigation Skip to Meta Navigation Skip to Footer
Skip to Content Skip to Mainnavigation Skip to Meta Navigation Skip to Footer

«Eure Welt ist mir zu laut»

Andreas Blaser ist seit der Geburt gehörlos. Warum er nur auf gewisse Geräusche neugierig ist und manchmal zu Radionachrichten tanzt, erklärt der junge Mann unverblümt im Interview.

Ein Bild von Andreas. Er hat dunkelblondes Haar, trägt ein blaues Shirt und lächelt in die Kamera. Im Hintergrund ist ein Park zu sehen. | © Stiftung MyHandicap / EnableMe

Andreas Blaser ist gehörlos und hat sich unseren Fragen gestellt. (Stiftung MyHandicap / EnableMe)

Andreas, würdest du deine Gehörlosigkeit gerne wegzaubern?

Ja, ich möchte nur für einen Tag hören können. Aufgrund meiner Erfahrungen mit Hörenden möchte ich wissen, warum sie auf gewisse Geräusche empfindlich reagieren. Zum Beispiel beim Essen: Rülpsen. Ich mag rülpsen. Ich möchte wissen, wie eklig es klingt. Oder an der Wandtafel kratzen. Hörende kriegen davon immer eine Gänsehaut. Ich möchte auch mal erleben, wie sich das anfühlt. Wenn ich diese Hörerlebnisse hatte, will ich wieder gehörlos sein.  

Warum? Welche Vorteile hast du mit deiner Gehörlosigkeit?

Sehr viele! Eure Welt ist viel zu laut! Zum Beispiel auf dem öffentlichen WC: Da kannst du hören, wie der Nachbar am Schei*sen ist?! Oder im Zug, wenn viele Kinder auf dem Weg ins Klassenlager sind. Sie sind sehr laut und springen im Zug herum. Wie kann ich da sitzen und lächeln, wenn es so laut ist? Oder, wenn es Zuhause eine Baustelle gibt und der Presslufthammer zu laut ist. Hörende können dann nicht schlafen. Aber ich? Ja! 

Wie wirst du morgens wach, so ganz ohne Wecker?

Es gibt zwei Möglichkeiten zum Aufwachen: erstens durch Beben, zweitens durch Blitz. Das Beben wird durch einen Vibrator unter dem Kopfkissen ausgelöst. Der Blitz wird vom Wecker verursacht. Wie bei einer Fotokamera. Den Wecker kann man ganz normal einstellen. Manchmal kommt es vor, dass ich am Morgen von einem Erdbeben träume. Dann stelle ich fest, dass es nur der Wecker war. 

Wenn wir schon beim Thema träumen sind: Hörst du im Traum?

Ich erinnere mich an keinen Traum, in dem ich hören konnte. Noch nie. Die Welt in meinen Träumen ist still. Aber ob ich im Traum die Gebärdensprache benutze oder spreche, das weiss ich nicht. Keine Ahnung. Ich habe keine Erinnerung daran. 

Wie ist das mit der Gebärdensprache? Ist die eigentlich auf der ganzen Welt gleich?

Puh, schön wärs. Die Gebärdensprache ist in jedem Land unterschiedlich. Das ist auch schön. Ich möchte euch ein paar lustige Gebärden mit dem Mittelfinger zeigen. In Japan gebärdet man Bruder anders als hier. Dort gebärdet man es, in dem man zwei Mittelfinger zeigt. In Schweden wollte ich meinen Namen im schwedischen Fingeralphabet gebärden. Den Buchstaben «R» zeigt man mit einem Mittelfinger. Mann, war ich geschockt, als mir alle den Mittelfinger gezeigt haben. Und Alexanderplatz, das Wahrzeichen in Berlin, gebärdet man ebenfalls mithilfe des Mittelfingers.

Da hast du ja schon viel erlebt. Hast du noch mehr schräge Storys, die du mit deiner Behinderung erlebt hast?

Ich möchte zuerst das Wort «Gebärdenunfall» erklären. Damit ist gemeint, wenn dem Gehörlosen während dem Gebärden ein Missgeschick passiert. Zum Beispiel steht auf dem Tisch ein Glas und ich gebärde. Dabei stosse ich das Glas versehentlich um. Das ist ein «Gebärdenunfall». Nun möchte ich dir von meinem Gebärdenunfall im Flugzeug von Zürich nach London erzählen. Ich bestellte im Flugzeug einen heissen Kaffee. Ich liebe Kaffee! Auf der Ablage stand mein Kaffee. Neben mir sass ein Gehörloser, mit dem ich gebärdete. Dabei stiess ich den Kaffee um und der heisse Kaffee wurde über mich geschüttet. Ich habe so laut geschrien wie ein geschlachtetes Schwein. Alle Stewardessen kamen sofort zu mir. Vielleicht hielten sie mich für einen Spinner, der Flugangst hat. Sie sahen, dass der Kaffee über mich geschüttet wurde und eine von ihnen gab mir eine Salbe. Ich ging aufs WC und rieb mich ein. Dann war alles wieder gut. Als das Flugzeug in London landete, mussten alle aussteigen. Eine Stewardess hat am Ausgang mit einer Banane auf mich gewartet. Sie hielt die Banane nach oben gerichtet, wartete bis ich kam, zeigte und gab sie mir. Dabei drehte sie die Banane nach unten. Ich nahm sie fragend an und bedankte mich. 

Du bist also ab und zu mit dem Flugzeug unterwegs. Wie sieht es mit Autos aus? Kannst du Auto fahren?

Lass mich nachdenken. Ja! Gehörlose können Auto fahren. Können Motorboot fahren. Können Lastwagen fahren. Sogar Motorräder! Aber Flugzeuge fliegen dürfen sie nicht. Schade... 

Und tanzen?

Nur das Gehör fehlt. Der Rest vom Körper funktioniert noch. Schau mal: *Tanzt*. Gehörlose können tanzen, indem sie den Bass spüren.  

Also magst du Musik?

Ja! Ich mag Musik. Trommeln und Sänger kann ich nicht gut wahrnehmen. Aber ich mag es, die Bässe am Körper zu spüren. Auch wenn im Radio Nachrichten laufen, gibt es einen Bass. Ich tanze dann auch gerne zu den Nachrichten und fühle den Bass. Tja... 

Du sagtest, «nicht alles wahrnehmen». Heisst das, du hörst doch ein kleines bisschen?

Ähm, jetzt trage ich keine Hörgeräte, also höre ich nichts. In der Stadt Zürich höre ich all den Lärm im Strassenverkehr ohne Hörgeräte auch nicht. Dann ist es ruhig. Aber wenn ich die Hörgeräte trage, ist es viel zu laut für mich. Die Menschen reden durcheinander und ich verstehe nichts.  Mir wird dann schwindelig. Ich trage keine Hörgeräte, weil ich mich in der ruhigen Welt wohler fühle. Wenn aber Musik mit lautem Bass läuft, höre ich das gerne.  

Apropos Menschen verstehen: Kannst du Lippenlesen? Wie geht das?

*Sagt lautlos: «Hallo verstehst du mich?»* So geht Lippenlesen. Ich habe einen Tipp für dich. Wenn Hörende mit uns Gehörlosen sprechen, benutzen sie oft die Stimme. So bewegen sich die Lippen automatisch schneller. Für uns Gehörlose ist das schwieriger zu verstehen. Hier mein Tipp für dich: Stimme abschalten! Du kannst es ja mal ausprobieren. Wenn du deine Stimme abschaltest, bewegen sich deine Lippen langsamer und deutlicher. 

Eine letzte Frage noch: Gehst du ins Kino?

Ja, ich gehe gerne ins Kino, wenn es Untertitel gibt. Wenn die Originalsprache des Filmes zum Beispiel Englisch ist, dann gibt es deutsche und französische Untertitel. Das schaue ich gerne. Wenn es im Kino keine Untertitel gibt, kann man mit einer App auf dem Smartphone die Untertitel lesen. Aber da muss man abwechselnd auf Leinwand und Smartphone gucken. Das ist mir zu anstrengend. So gehe ich nicht ins Kino. Nur mit Untertitel. 


Ist dieser Artikel lesenswert?

Fehler gefunden? Jetzt melden.

Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?