Schlaganfall: Interview mit Franz Rumpler
Nach seinem Schlaganfall im Juni 2010 merkte Franz Rumpler, wie viele Lebensbereiche sich dadurch verändert hatten. In seiner Altersliga hat er viele Freunde und Bekannte mit ganz verschiedenen Erkrankungen und Behinderungen. Dabei gibt es zahlreiche Überlappungen bei den Strategien und Taktiken zur besseren Alltagsbewältigung.
Franz Rumpler hat sich nach einem Schlaganfall zurück ins Leben gekämpft. (pexels)
Geboren bin ich im Januar 1945 in Nürnberg. Dann kamen die ganze Schullaufbahn und die Berufsentscheidung. Von 1967 bis 2009 habe ich bis zu meinem Ruhestand als Sonderpädagoge gearbeitet. In dieser Zeit durfte ich für behinderte Kinder und Jugendliche aller Behinderungsformen und Schweregrade tätig sein. Davon 19 Jahre an einer Schule für Kinder im Krankenhaus. Das Spektrum der langfristig erkrankten Patient:innen reichte dabei von chronisch krank mit regelmässigen Tagesbesuchen über krebskrank bis hin zu tiefgreifenden seelischen Erkrankungen.
Franz Rumpler hat als Sonderpädagoge gearbeitet (Foto: Franz Rumpler)
Das Interessante war, dass ich, nachdem ich ein Jahr im Ruhestand war, selbst in dieses Krankenhaus mit schwerer Behinderung kam. Da hatte ich einen Gehirnschlag, ein Aneurysma, und kam dann in die Klinik, wo ich jahrelang gearbeitet hatte. Unter uns gesagt, das war eine etwas skurrile Situation. Als dort ein Franz Rumpler behandelt wurde, stand am nächsten Tag gleich ein Pastor da. Es gibt Klinikpfarrer, die schauen die Neuzugänge durch und besuchen dann manche Leute. Und nachdem der auf meinen Namen gestossen ist, ist er gleich zu mir gekommen. Das war hilfreich, da gibt es nichts dagegen zu sagen. Nur die Leute in der Umgebung fragten: «Ist es bei Ihnen schon so schlimm, dass der Pfarrer kommen muss?»
Von daher kannte ich schon viele Lebensumstände, die im Krankenhaus ablaufen, darunter chronisch krank, Tagesklinik, krebskrank, Kinder- und Jugendpsychiatrie. Ja, und ein Jahr später hat es wie gesagt mich erwischt. Es hat lange Zeit gedauert, bis ich wieder auf die Beine gekommen bin. Und das war dann auch der Anlass, dass ich einige Gedanken aus dieser Zeit und die Erfahrungen damit in einem Büchlein zusammengefasst habe.
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Es gibt einen, hoffentlich nicht allzu langen, autobiografischen Teil, wie das Ganze sich entwickelt hat. Nach meinem Schlaganfall im Juni 2010 merkte ich sehr rasch, wie viele Lebensbereiche sich doch verändert hatten. Da halfen dann auch keine Medikamente oder Therapien weiter. Ich habe dabei auch gemerkt, dass es viele Lebenssituationen gibt, die mit Krankheit, dem Alter und verschiedenen anderen Einschränkungen zusammenhängen, sie überlappen sich sozusagen. Ich wollte jetzt kein Buch nur über den Schlaganfall und die Folgen schreiben, sondern über besondere Lebenslagen, die einen zwingen, sein Leben umzustellen. Das heisst, den Alltag optimal zu gestalten, durch eine gute Auswahl, durch gute Vorplanung, oder auch mal durch Weglassen von Aktivitäten, die man nicht mehr leisten und schaffen kann.
Leben in kleinen Portionen
Franz Rumpler hat ein Buch geschrieben: «Leben in kleinen Portionen – Anregungen für schwierige Lebenslagen»
Bis heute stelle ich fest – ich werde demnächst 78 – dass es schon im Bekannten- und Freundeskreis viele Menschen mit Krebserkrankungen gibt, die natürlich heute mit ähnlichen Problemen zu kämpfen haben wie ich. Das heisst, sie können nicht mehr aus dem Haus, sie brauchen permanent Pflege, sie brauchen Unterstützung bei vielen Dingen und müssen ihr Leben umstellen. Meine Frau hatte selbst mal eine Krebserkrankung, ohne bleibende Nachwirkungen, mit Ausnahme von schweren Operationen. In meiner Altersliga hat man Freunde und Bekannte mit ganz verschiedenen Erkrankungen und Behinderungen. Und siehe: Es gibt sehr viele Überlappungen bei den Strategien und Taktiken zur besseren und auch guten Alltagsbewältigung. Und so bunt sind auch die Anregungen für schwierige Lebenslagen.
Da habe ich mir gedacht, ich stelle mal die verschiedensten Lebenssituationen des Alltags zusammen, die meiner Meinung nach angesprochen gehören. Das fängt an bei Medizin, Therapie, geht über Medikation sowie verschiedene Einstellungen, die man an sich auch verändern sollte und müsste. Man ist oft zu rücksichtsvoll, man will nicht egoistisch sein, es ist auf der anderen Seite so, dass man auf sich selbst achten muss. Und das setzt sich dann im Alltag fort: Vom Einkaufen, vom Wohnen und Leben, vom Wohnungswechsel, ganz querbeet.
Auf der Genesungs-Reise bin ich seit meinem Schlaganfall im Juni 2010 immer noch. Wenn ich zurückblicke, so hatte ich am Anfang natürlich längere Klinikaufenthalte. Ich hatte das Glück, dass ich von der Stroke-Unit rasch in eine Spezialklinik für neurologische Rehabilitation verlegt worden bin und sich dann noch eine Reha angeschlossen hat. Nach insgesamt drei Monaten kam ich ohne Rollstuhl und nur mit Stock als Gehhilfe wieder daheim an. Es war ein Glücksmoment ohnegleichen. In Begleitung meiner Frau waren Urlaube wieder möglich, kleine Ausflüge, Besuche usw. Aber es kamen auch mehr und mehr die Altersringe zum Tragen. Die Beweglichkeit lässt nach und ebenso die Ausdauer. Das musste ich für mich einrechnen: Der Schlaganfall hat mich gefühlt um 10 Jahre altern lassen und jedes weitere Lebensjahr würde ich mit dem Faktor 1,5 ansetzen. Also 78 Jahre plus 10 Jahre sowie 12x1,5 Jahre macht gefühlte 94 Jahre. Na ja. Begleiter auf diesem Genesungs-Weg waren weitere zwei Rehas und regelmässige Therapien.
Ich muss sagen, damals war ich ja 11 Jahre jünger, sprich Mitte 60, bin ich sehr gut und mit guten Erfolgen durchgekommen. Es war allerdings auch so, dass mit den Jahren manches wieder nachgelassen hat. Man wird insgesamt älter. Gerade in der Altersphase Mitte 60 bis hin zu 80 verändern sich ja viele. Da muss man sich in der Verwandtschaft und bei Freunden umschauen, was bei einigen noch möglich war, das sehe ich in der Nachbarschaft, geht auf einmal nicht mehr. Da könne die Eltern nicht mehr kommen, ohne gefahren zu werden.
Da kam dann dazu, dass ich auch manches umstellen musste und bis heute weiterhin Therapien brauche. Heute Mittag war die Physiotherapeutin da. Gestern war eine Dame da, die ich von früher kenne, eine Heilpraktikerin, die TCM macht, so eine traditionelle chinesische Medizin und morgen kommt eine Ergotherapeutin. Also ich bekomme immer wieder die Verordnungen, dass ich auf zwei oder drei Therapien in der Woche mindestens komme, und das brauche ich auch. Also ich würde auch allein meine Übungen machen, aber diese Unterstützungen sind für mich sehr wichtig, es ist, wie wenn man einen Coach hat. Ich selbst höre nach fünf Minuten auf. Die Therapeutin heute sagte: «Wir schaffen das, nochmal und nochmal und nochmal. Ich bin bei Ihnen». Sie hilft einem, wo man allein aufpassen muss, dass man nicht in schwierige Situationen kommt, ich hatte auch schon Stürze. Und das sind dann so Momente, wo ich merke, hoppla, Vorsicht ist geboten, ich komme allein nicht mehr auf, ich brauche dann einen Notrufknopf, dass Hilfe kommt. Aber trotz aller Unterstützungen, ich wäre heute nicht mehr allein lebensfähig, auch nicht einen Tag ohne zusätzliche Hilfe.
Ich muss sagen, relativ gut. Es könnte auch durchgehen, wenn ich sage, ich habe gar nichts. Ich sitze in meinem Lieblingssessel, das ist der am Schreibtisch, wo ich auch meinen Computer habe. Das ist für mich wie das Tor zur Welt. Ich habe meine Ordner und Akten in der Höhe, dass ich gut hinkomme. Es gibt den ganzen Tag immer einiges zu tun. Und das ist so mein Alltag geworden.
Der Alltag ist beschwerlich, aber ich bin zufrieden. Kurz und knapp: Pflegegrad 3, 90 Prozent Schwerbehinderung mit den Kennzeichen B und aG. Morgens kommt die Pflege und hilft mir beim Start. Ohne die Unterstützung durch meine Frau wäre ich allein zu Hause nicht lebensfähig und müsste wohl umgehend in ein Pflegeheim.
Im Moment kann ich nicht aus dem Haus. Heute Mittag war ich mit der Therapeutin und die hatte dann noch einen Praktikanten dabei und ich hatte das erste Mal wieder nach Wochen den Weg hinaus in die Dusche, dass ich zumindest mal wieder allein oder mit Hilfe in die Dusche gehen kann. Ich hatte vor kurzem einen schweren Sturz mit vielen Blutergüssen und so ist das immer ein Kampf in den Alltag hinein und gegen die Widrigkeiten des Alltags.
A, dass es einigermassen stabil bleibt, so komme ich zumindest gut durch den Alltag. B, dass es nicht irgendwo Einbrüche gibt. Leichte Fortschritte bei Mobilität sind willkommen. Auf zusätzliche Krankheiten und Einschränkungen kann ich gerne verzichten und ebenso auf Stürze. Denn wie gesagt, ich bin schon ziemlich an der Basis dessen angelangt, was man noch verkraften könnte und was noch leistbar wäre im Haus.
Auch die Pflegekräfte – die wechseln ja auch täglich bzw. in ihren Schichten – sagen, im Moment geht alles gut, sie müssen sich keine Sorgen machen. Aber wenn es noch schlimmer werden würde, können wir auch nicht helfen. Es ist nicht jemand rund um die Uhr hier.
Ich habe einen guten Freund in der Klinik kennengelernt. Der hatte auch ein Aneurysma mit einem tragischeren Ausgang. Der ist erst spät gefunden worden. Von seiner Frau in der Früh, der hatte die Hirnblutung nachts, hat niemand gemerkt, war schmerzfrei und ist schwerstbehindert, ähnlich wie ich, nur er braucht rund um die Uhr jemanden im Haus. Seine Frau arbeitet und da muss halt die Pflege kommen, meistens über eine Agentur, um den Alltag daheim zu bewältigen oder zumindest die Hilfen zu haben, die er beim Essen braucht, die er beim Bewegen braucht, solche Dinge.
Also ich würde heute sagen, Aufgeben gibt es gar nicht. Sondern, man muss versuchen, Wege zu finden, wie man einen Schritt weiterkommt, wie man wieder mehr in die, ich will jetzt nicht sagen Normalität, aber in den Alltag zurückfinden kann. Es gibt heute viele Zugänge zu ambulanten und mobilen Diensten. Oft bekommt man gute Adressen und Tipps in der Klinik oder Reha. Die Umsetzung hängt von vielen individuellen Faktoren ab. Erschütternd sind immer wieder Einzelschicksale, bei denen ein Unglück dem nächsten folgt, gepaart mit Alleinsein und Armut.
Ich habe gute Umstände. Ich habe hier im Haus mittlerweile alles umgestellt. Ich sitze in einem separaten Raum unten im Erdgeschoss, wo ich schlafen kann, wo ich arbeiten kann und wo ich mit dem Rollstuhl rein und raus kann. Schwierig wird es, wenn man andere Lebensumstände hat.
Was bei mir selbst auch so ein Thema ist, ist barrierefreies Wohnen, da kann das ausserordentlich schwierig werden. Ich bräuchte dann zusätzliche Hilfen beim Treppensteigen und bei meiner Körpergrösse, überhaupt bei einem erwachsenen Menschen kann das ausserordentlich schwierig sein.
Ich habe einen guten Freund fast bis in den Tod hinein begleiten können. Wir haben uns regelmässig gesehen. Der hatte ALS, eine ganz schlimme Krankheit, die bei ihm dann doch ziemlich schnell verlaufen ist. Im Nachhinein sagt auch seine Witwe – wir sind weiterhin gut befreundet – es war auch irgendwo eine, ich will nicht sagen Erlösung, aber es war zumindest so, er hatte selbst schon grosse Selbstmordgedanken und seine Frau sagt, sie hätte es nicht mehr schaffen können zu Hause. Sie hätten ihm einen Heimplatz suchen müssen. Auch die mobile Pflege, die ab und zu da war, hat gesagt, so kann das nicht weiter geleistet werden zu Hause.
Aber ich sage nochmal, man muss versuchen, in kleinen Portionen – das ist ja auch ein Sinn dieses Büchleins – Schritt für Schritt weiterzukommen. Auch das soziale Umfeld, die Familie und Freunde sind sehr wichtig, wenn man schon so gehandicapt ist. Ich bin heilfroh, wenn ab und zu mal jemand vorbeikommt. Ich habe auch manche Verabredungen mit Freunden in der Nachbarschaft, die dann sagen, ich komme mal vorbei, wir können dann uns eine Stunde unterhalten, das sind dann so Momente, die ich hier noch leisten kann, die in manchen Pflegeheimen auch schwer sind. Man darf das nicht unterschätzen, man ist da nicht der alleinige Patient oder Kunde oder Klient. Ich war letztes Jahr 3 Wochen zur Reha weg, wegen eines unerklärlichen leichten Schlaganfalls, der sich da eingeschlichen hat. Und da ist man dann auch überrascht, wenn es heisst: «Da müssen Sie eine Stunde warten, da müssen Sie später kommen, da können wir Ihnen überhaupt nicht helfen». Also lieber versuchen, zu Hause alles so zu richten, dass es ein Stückchen weitergeht.
Die Kernaussage wäre: Nicht unterkriegen lassen! Versuchen, trotz aller Tiefschläge positiv eingestellt zu sein. Man kann gerade auch in den Austausch mit anderen Betroffenen gehen. Und da ist ja auch EnableMe oder die Stiftung MyHandicap eine coole Plattform, wo man sieht, andere schaffen auch vieles und das gibt einem wieder Mut. Also ich bin auch froh, wenn ich mich mit anderen austauschen kann, die mir Motivation geben und mir sagen, es geht doch. Da habe ich auch viel Unterstützung in der Familie. Und das wäre meine Kernaussage. Optimistisch bleiben, ein Stückchen weiter gehen. Und das alles auch anpassen, an das, was man körperlich, mental, aber letzten Endes auch physisch und finanziell leisten kann.
Man muss auch sehen, krank sein ist keine Sparkasse. Krank sein, heisst auch unerwartet hohe Ausgaben, zusätzliche Ausgaben, da wird dieses nicht bezahlt, da wird jenes nicht übernommen. Und wenn man dann noch finanziell sehr klamm ist, kann das schon problematisch werden. Ich denke auch immer daran, gerade zur vergangenen Weihnachtszeit bis heute gibt es ja immer auch Möglichkeiten, wenn jemand einen guten und triftigen Grund hat, sich an die örtliche Presse zu wenden, da laufen ja viele Aktionen, wo sich Leute hinwenden können und sagen können, ich bräuchte dringend einen elektrischen Rollstuhl oder ich bräuchte dringend einen Umbau in der Dusche, dass ich zumindest da wieder reingehen kann.
Also es ist ausserordentlich schwierig, einen kompakten Satz oder ein kompaktes Paket anzubieten, man muss das abklopfen von A bis Z. Was gibt es alles für Lebensbereiche, die mir Schwierigkeiten machen und wo kann ich Erfahrungen finden.
Wir bedanken uns vielmals bei Franz, der seine Erfahrungen so offen und ehrlich mit uns geteilt hat! Für seinen weiteren Weg wünschen wir Franz von Herzen alles Gute!