So fühlt sich ein Hirnschlag an: Interview
Michael erleidet beim Radfahren plötzlich einen Schlaganfall. Wie sich das angefühlt hat und wie es ihm heute geht, erklärt er im Interview.
Häufige Symptome eines Hirnschlags oder Schlaganfalls sind Lähmungen, Schwindel und Gleichgewichtsstörungen. (pexels)
Er erlebte einen Hirnschlag und kämpfte sich nach seiner Genesung durch zahlreiche Herausforderungen. Trotz schwerer körperlicher und mentaler Einschränkungen fand Michael neue Wege, seinen Alltag zu bewältigen und schöpft Kraft aus seinem Glauben und der Unterstützung durch Familie und Freunde.
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Ich werde 52 Jahre alt. Vor der Hirnblutung habe ich bei der Diakonie als Betreuer in einer Seniorenresidenz gearbeitet. Das heisst, ich war mit weiteren Leuten angestellt und wir mussten regelmässig die Wohnung kontrollieren. Ob die Bewohner gesund waren oder etwas vorgefallen ist. Nach eineinhalb Jahren bin ich in die Verwaltung gekommen. Dann kam Corona und ich hatte Meinungsverschiedenheiten mit meinem Arbeitgeber. Ich bin in Überlingen am Bodensee geboren, wo ich momentan auch wohnhaft bin. Dann bin ich im Umland gross geworden. Ich war bis zum 25. Lebensjahr am Bodensee unterwegs. Dann bin ich nach Hamburg. Da habe ich den ersten Kontakt mit der ambulanten Pflege gemacht und habe mich mit diversen Jobs durchgewurschtelt. Letztendlich bin ich wieder auf der kaufmännischen Schiene gelandet. Ich habe Jahrzehnte lang im Vertrieb gearbeitet. Dann bin ich nach Stuttgart gezogen, wo ich auch sieben Jahre im Vertrieb gearbeitet habe. Mit meiner Ex-Frau habe ich versucht, eine Praxis zu eröffnen. Sie hat eine Ausbildung zur Heilpraktikerin, die ich ebenfalls habe. Dann bin ich wieder zurück an den Bodensee.
Ohne Vorwarnungen habe ich vor drei Jahren eine Hirnblutung bekommen. Vielleicht habe ich die Vorwarnungen ignoriert. Das kann auch sein. Das weiss ich nicht. Letztendlich war ich beim Radfahren und als ich eine Steigung mit dem Rad hochgefahren bin – ich muss sagen zu diesem Zeitpunkt (Mai), da war ich noch untrainiert. Sonst war ich ständig unterwegs mit dem Motorrad oder Fahrrad, – bemerkte ich, dass die Luft wegblieb. Dann habe ich eine Pause gemacht und etwas getrunken. Es wurde nicht besser. Dann rief ich einen Freund an, weil ich wusste, dass es etwas ist, das nicht mit einer Pause weggeht. Der hatte damals keine Zeit. Dann versuchte ich eine gute Freundin zu erreichen. Ich hatte kein Glück. Und dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Neun Monate vorher bin ich zu einer Bewohnerin gekommen, die just in dem Moment einen Schlaganfall hatte und ich wartete mit ihr, bis der Notarzt kam. Ich habe mit ihr geredet. Sie hat mir erzählt, wie sie sich fühlt. Und dann kam der Moment, wo ich dachte: «Vielleicht hast du einen Schlaganfall.»
Für mich war das unverständlich, weil die Symptome wie Lähmung der Gesichtshälfte noch nicht aktuell waren. Dann habe ich den Rettungswagen gerufen und er kam innerhalb von zehn Minuten. Die haben mich eingeladen und mich nach Friedrichshafen gebracht. Da ist eine Schlaganfall-Klinik. Auf der Fahrt dahin habe ich gemerkt: Jetzt kommt die Taubheit. Kribbeln im Gesicht und das ging weiter über die rechte Hälfte. Dann sind wir angekommen und ich hatte einen Blackout. Ich weiss nur noch, dass ich in die Röhre gekommen bin und dann bin ich auf die Intensivstation gekommen. Das ist meine erste Erinnerung nach dem Anfall. Ich erfuhr auch erst später, dass die Chancen sehr schlecht standen für mich. Man sagte auch schon zu meiner Familie, wenn in den nächsten 24 Stunden die Blutung nicht stoppt, dann ist Exitus. Um auf Nummer sicher zu gehen, flog man mich nach Ravensburg. Dort landete ich auch auf der Schlaganfallstation. Dort wollten sie mir die Schädeldecke öffnen, um die Blutung zu stoppen. Ich konnte damals nicht mehr reden und mich nicht verständigen, war auf der rechten Seite komplett gelähmt. Ich habe zwar alles mitbekommen, aber ich konnte mich nicht verständigen. Mein Vergleich ist: Das ist wie, wenn man gefangen ist in seinem Körper. Das ist eine unschöne Situation. Das wünsche ich keinem Menschen. Die geplante Operation fand nicht statt. Ich hatte zum Glück einen Chirurgen, der mich davor bewahrt hat, weil er an mich geglaubt hat. Er war auch ein bisschen mein Schutzengel. Dann kam der ganz normale Reha-Wahnsinn. Ich schreibe mir momentan meine Geschichte auf. Ich habe gemerkt, dass es mir hilft, mit dem neuen Leben klarzukommen.
Ich bin Frührentner – Erwerbsminderung – leider. Klar, ich kann nicht mehr arbeiten, weil ich auch das Problem habe, dass ich zwar konzentriert sein kann, aber nicht, wenn es wirklich stressig wird. Mein Job im Altersheim könnte ich nicht mehr machen. Da war telefonieren, E-Mails beantworten, Kundenkontakt. Eins nach dem anderen kann ich machen. Aber so wie früher geht es nicht mehr. Am Anfang konnte ich keinen Text lesen und verstehen, der länger als zehn Zeilen war. Ich habe die Zeilen auch nur in dem Moment verstanden, in dem ich sie gelesen habe. Aber wenn du mich zwei Minuten später gefragt hättest, dann konnte ich es nicht mehr sagen. Das war das Schlimmste für mich, weil ich früher eine Leseratte war. Ich konnte nicht mal mehr eine Buchseite lesen und mich daran erinnern. Das ist jetzt wieder der Fall, dass ich zehn bis zwanzig Seiten am Stück lesen kann. Wenn ich einen guten Tag habe, dann kann ich abends noch einmal zehn Seiten lesen. Aber das war auch am Anfang unmöglich.
Die Sprache ist auch angeschlagen. Ich habe viele Jahre am Telefon im Vertrieb gesessen. Am Anfang war zehn Minuten telefonieren die Hölle. Das hat mich so erschöpft. Die ersten eineinhalb Jahre sass ich hauptsächlich im Rollstuhl. Ich laufe seit einem Jahr hauptsächlich wieder. Ich kann wieder Strecken bis zu zwei Kilometer laufen. Für eine Strecke von zwanzig Minuten brauche ich heute vierzig Minuten. Früher, als ich angefangen habe, war es zwischen drei- bis viermal so lang. Die Hand und den Fuss kann ich auch noch nicht uneingeschränkt bewegen. Aber der Fuss kommt langsam. Das Verständnis für solche Gespräche oder Telefonate ist auch wieder da. Ich kann mich auch wieder in einer kleinen Gruppe Menschen unterhalten und bin nicht gleich wieder am Anschlag. Meine Familie ist gross. Neffen, Nichten und Geschwister mit Partner. Wir sind bei einem Familienfest immer viele. Ich konnte anfangs keinem Gespräch folgen.
Als ich aus der Klinik kam, war ich noch in einer Beziehung und ich habe Hilfe von meiner Freundin bekommen. Da habe ich keine Hilfe vom Pflegedienst bekommen. Ich bin auch froh, dass ich das Glück hatte, dass ich mich selbst anziehen konnte und mich selbstständig duschen konnte. Das war zwar etwas kompliziert, aber ich habe alles so schnell wie möglich wieder hinbekommen. Ich wohne seit eineinhalb Jahren wieder allein. Am Anfang bin ich mit dem Pflegedienst zurechtgekommen. Jetzt ist es mittlerweile so, dass ich den Pflegedienst immer mehr reduzieren kann, weil ich immer mehr selbstständig mache. Die brauche ich hauptsächlich noch zum Putzen.
Wenn ich ehrlich bin, bin ich noch auf der Suche. Ich denke, durch solche Aktionen, wenn ich nach draussen trete, wie durch das Interview und auch Leuten einen Weg aufzeige, ist das für mich momentan sinnvoll. Ich bin durch Hochs und Tiefs gegangen. Ich will nicht sagen, dass ich da nicht mehr drin stecke und dass ich da nicht mehr reinkomme. Den Sinn kann man nur für sich finden. Ich bin früher schon etwas religiös gewesen, aber ich muss sagen, ich habe jetzt wieder zu Gott gefunden, weil ich dadurch die Kraft schöpfe. Ich versuche, mich nicht unterkriegen zu lassen, bin eine Kämpfernatur, weil ich so viele Unfälle hatte und wieder aufgestanden bin. Aufgeben ist keine Option. Mir zeigt mittlerweile meine Situation, dass ich die Kraft habe aufzustehen. Aber die Kraft kommt auch durch die Beziehung, die ich mir mittlerweile zu Gott aufgebaut habe.
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Ich habe am Anfang einen Rollstuhl gehabt, dann habe ich einen Gehstock und einen Rollator bekommen. Und dann, als ich wirklich alleine gewohnt habe, ging es mir darum, wieder selbstständig zu werden. Ich habe den Pflegedienst bestellt und ich habe auch das Glück, dass ich aus dem Pflegebereich komme. Ich wusste, was mir zusteht und wo ich die Hebel in Bewegung setzen musste. Je nachdem welche Seite betroffen ist, gibt es spezielle Teller, Werkzeuge (Schere) für links oder Rechtshänder oder Schneidebretter für Einhändige. Aber da sollte man sich im Netz informieren – es gibt auch Videos, in denen Leute Tipps geben.
Es gibt nur einen Tipp und der hört sich so billig an, aber es ist wahr: nicht aufgeben! Ich weiss noch, in der Reha lag ein Flyer mit dem Slogan «nicht aufgeben». Und ich dachte, mir geht es so schlecht und die reden von nicht aufgeben. Und jetzt weiss ich, wieso sie das sagen. Denn darum geht es. Viele Leute haben das auch zu mir gesagt, als ich in die Reha gekommen bin. Ja klar, wer glücklich ist und wer eine gute Familie oder einen guten Freundeskreis hat – das hilft über die meisten Sachen hinweg.
Ich habe nach dem Telefonat vor, mich um eine Selbsthilfegruppe zu kümmern. Denn als ich in der Reha unter Gleichgesinnten war – da kamen ganz andere Themen zur Ansprache. Ich habe mich am Anfang geweigert, Selbsthilfegruppen zu besuchen und in der Corona-Zeit gab es solche Dinge nicht. Und ich habe Probleme, sowas über Zoom oder Telefon zu machen. Ich will den Leuten in die Augen gucken. Das ist der nächste Schritt auf meinem Weg der Genesung. Denn es ist für mich noch kein Urteil, dass es so bleibt, wie es ist. Denn mir wurde auch am Anfang gesagt, dass ich nie wieder laufen kann. Der Kopf spielt eine grosse Rolle dabei. Und beim Aufräumen ist es wichtig, dass du jemanden hast, der sich in dich einfühlen kann.
Wir bedanken uns vielmals bei Michael, der seine Erfahrungen so offen und ehrlich mit uns geteilt hat! Für seinen weiteren Weg wünschen wir Michael von Herzen alles Gute!