Skip to Content Skip to Mainnavigation Skip to Meta Navigation Skip to Footer
Skip to Content Skip to Mainnavigation Skip to Meta Navigation Skip to Footer

Kinder mit seltenen Krankheiten: wie meistern sie und ihre Eltern den Alltag?

Sevin, Cindy und Mael haben seltene Krankheiten. Alle drei müssen kämpfen – manchmal mehr und manchmal weniger. Die Eltern von Sevin, Cindy und Mael sprechen über ihre Erfahrungen, insbesondere auch über solche mit der Schule.

Eine Mutter sitzt zwischen ihren beiden Kindern auf dem Sofa. | © unplash

Wie Eltern mit den seltenen Krankheiten ihrer Kinder umgehen. (unplash)

Cindy Gorski (22) ist eine beeindruckende junge Frau. Sie ist eine Kämpferin, genau wie ihre Mutter Roza. Als Cindy vor 22 Jahren zur Welt gekommen ist, gaben ihr die Ärzte nur wenig Chancen. Sie wurde während der Schwangerschaft im Bauch ihrer Mutter mit dem Cytomegalie-Virus infiziert. Die Viren drangen in ihre Nervenzellen ein, die gerade in der Entwicklung waren. Konsequenzen konnten die Ärzte nicht genau abschätzen. Die Prognose lautete aber: Das Kind würde niemals gehen, reden oder lesen lernen. Heute lebt Cindy in Glattbrugg. Sie hat erfolgreich eine zweijährige Lehre als Büroassistentin abgeschlossen und arbeitet nun mit einem 50%-Pensum im Büro. Ausserdem hat sie ein Buch über ihr Leben geschrieben. Cindy und ihre Mutter haben gekämpft und das Unmögliche möglich gemacht.

Digitale Begleitstelle: Hilfe für Eltern von Kindern mit Behinderungen

Als Eltern eines Kindes mit Behinderungen haben Sie im Alltag viele zusätzliche Herausforderungen zu meistern. Hier finden Sie Hilfe in jeder Lebensphase Ihres Kindes – mittels Informationen sowie Austauschmöglichkeiten im Forum.

Zur Begleitstelle für Eltern 

Eltern sitzen mit ihrer kleiner Tochter und einem Laptop auf den Knien auf dem Sofa und informieren sich. | © Pexels / Kampus Production

In Muttenz, gut achtzig Kilometer westlich von Cindy, lebt Sevin Öcal (11). Ihre Familie kommt ursprünglich aus der Türkei. Sevin bastelt und liest gerne. Sie spielt mit Prinzessinnen und ist ein grosser Mickey Mouse-Fan. Sevin kam 2005 nach einer unauffälligen Schwangerschaft zur Welt. Eine halbe Stunde nach der Geburt bemerkten die Eltern, dass das Mädchen keine Haut an den Füssen hatte. Die Achtjährige leidet an der Schmetterlingskrankheit, im Fachjargon «Epidermolysis bullosa». Ihre Haut ist enorm empfindlich. Bei der geringsten Belastung bilden sich Blasen oder die Haut reisst. Es bilden sich – wie bei einer schweren Verbrennung – Narben, die im Laufe des Lebens dazu führen, dass die Finger beziehungsweise die Zehen verwachsen.  

Mael ist Mitte April sechs Jahre alt geworden. Seinen Geburtstag durfte er mit den Eltern und seinen beiden Brüdern auf Mauritius feiern. Die Reise war zum grössten Teil ein Geschenk einer Frau, die einen Bericht über Maels seltene Krankheit gelesen hatte. Die Speicherkrankheit «Niemann Pick C» verursacht Störungen im Gehirn und im Nervensystem. Mael wird alles wieder verlernen, was er bis jetzt gelernt hat – gehen, essen, sprechen. Wann diese Verluste eintreffen werden, ist ungewiss. Die Krankheit ist noch zu wenig erforscht. Die Diagnose erfolgte bei Mael im Alter von 19 Monaten aufgrund der stark vergrösserten Milz. Im Moment zeigt sich die Krankheit vor allem durch seinen Rückstand im motorischen Bereich. Mael hat aufgrund seiner Muskelhypotonie nur sehr wenig Kraft und grosse motorische Probleme. Seine zwei und vier Jahre jüngeren Brüder haben ihn motorisch gesehen bereits überholt. Im kognitiven Bereich geht es Mael im Moment noch sehr gut. Er ist praktisch auf dem Level von anderen sechsjährigen Kindern.   

Eltern von Kindern mit seltenen Krankheiten müssen oft kämpfen

Die Mutter von Cindy Gorski kämpfte – der Vater verliess die Familie. Da ihr die Ärzte keine grossen Hoffnungen auf eine positive Entwicklung ihrer Tochter machten, fokussierte sich Roza vorwiegend auf Lösungen und Therapien der Komplementärmedizin. Der Alleingang war mit beträchtlichem finanziellem Aufwand verbunden. Roza erhielt nie finanzielle Unterstützung von einer Organisation oder Stiftung. «Ich habe einfach bei der Bank einen Kredit bezogen, um die Privatsitzungen zu bezahlen.» Die Invalidenversicherung unterstützte sie, soweit es die Gesetzgebung erlaubte. Weil die Behinderung vor der Geburt festgestellt wurde, konnte die IV nur beschränkt Kosten übernehmen. Roza bemühte sich um eine Gesetzesänderung – erfolgreich.

Eltern von Kindern mit seltenen Krankheiten sind immer wieder mit Problemen konfrontiert. Sie müssen sich viele Informationen zur Krankheit selbst beschaffen, und werden so schnell zu Spezialisten. Sie sind konfrontiert mit bürokratischen Hürden, zum Teil auch mit willkürlichen Entscheidungen der Versicherungen. Wer nicht kämpft, hat oft das Nachsehen. Oft gäbe es Hilfsangebote – die betroffenen Familien werden aber nicht darüber informiert. Jüngst wurde deshalb auch der Ruf nach einer Beratungsstelle für Patientinnen und Patienten mit seltenen Krankheiten laut. Ausserdem kämpfen verschiedene Organisationen für Kompetenzzentren, damit die betroffenen Personen vor willkürlichen Entscheiden geschützt werden.

Integration in der Regelschule ist keine Selbstverständlichkeit

Die Schmetterlingskrankheit von Sevin Öcal ist gravierend. Die Pflege des Mädchens nimmt täglich bis zu zwei Stunden in Anspruch. Da die Krankheit nicht mit einer geistigen Behinderung verbunden ist, besucht die Achtjährige zusammen mit gesunden Kindern die Primarschule. Der Weg dorthin war aber steinig. Ihre Eltern mussten dafür bis vor Gericht. «Dabei hat die gesellschaftliche Integration von Sevin sehr gut begonnen.»     

Mithilfe einer Begleiterin konnte sie die Spielgruppe und danach während drei Jahren den regulären Kindergarten besuchen. Doch dann schlug eine Heilpädagogin vor, Sevin in eine heilpädagogische Sonderschule zu versetzen. Der Grund bleibt bis heute unklar. «Ich habe noch keinen Grund gefunden, warum Kinder wie Sevin nicht einmal die Möglichkeit erhalten, in die normale Schule zu gehen», sagt ihr Vater Yasar. Mitte Januar dieses Jahres hat jedoch ein Gericht in Liestal entschieden, dass Sevin die Regelklasse der Primarschule Muttenz besuchen darf. Yasar Öcal ist erleichtert: «Sevin hat eine neue Begleiterin und freut sich sehr über die neue Schule.»

Der sechsjährige Mael kommt im Sommer im luzernischen Udligenswil in die 1. Klasse der Primarschule. Er wird im Rahmen der Integrativen Schulung (IS) die Regelklasse besuchen. Als IS-Schüler ist er zwar bei einer Schule für Körperbehinderte angeschlossen, besucht aber schon jetzt ganz normal mit Gleichaltrigen den Kindergarten im Dorf. Dort bekommt er während mehreren Stunden pro Woche Unterstützung von einer Heilpädagogin und einer Klassenassistenz. Beide Fachkräfte begleiten nicht nur Mael, sondern arbeiten auch mit anderen Kindern aus der Klasse. «Mael ist sehr glücklich im Kindergarten», sagt seine Mutter Claudia. «Es ist zwar sehr streng für ihn, aber er freut sich jeden Tag auf die Stunden mit seinen ‹Gspänli›. Bei der Integration in die Regelklasse gibt es keine Probleme. Die Schulleitung und auch Maels Kindergartenlehrperson sind sehr verständnisvoll und setzen sich für ihn ein», lobt Claudia Oetterli. 

Gute Erfahrungen mit der Schule haben auch Cindy und ihre Mutter Roza gemacht. Cindy wurde anfänglich einer heilpädagogischen Schule in Zürich zugeteilt. Bereits als Kleinkind weigerte sie sich aber, diese zu besuchen. Sie wollte gleich behandelt werden wie die «normalen» Kinder. Mit grosser Unterstützung des Direktors der heilpädagogischen Schule wurde sie in eine Kleinklasse der regulären Schule in Opfikon-Glattbrugg integriert. Dies war jedoch keine Selbstverständlichkeit. Für jedes Semester musste man der Schulpflege beweisen, dass Cindy es schaffen wird. Ohne Goodwill und Offenheit der jeweiligen Personen wäre das gar nicht möglich gewesen.

Ein Recht auf ein möglichst glückliches Leben

Eine reibungslose Integration ist nicht selbstverständlich. Es gibt viele Eltern von Kindern mit seltenen Krankheiten, die nicht auf die Unterstützung der Schulbehörden oder Lehrpersonen zählen können. «Es gibt Fachleute, die möglicherweise Angst vor Neuem und Unbekanntem haben. Es gibt aber auch viele Lehrkräfte, die offen sind, das Kind mit Liebe und Hingabe zu unterstützen und zu integrieren», sagt Roza Sikon. «Ein interdisziplinäres Team muss die Sinne des Kindes wecken und ihm unbedingt Selbstvertrauen geben. Die Einstellung der Eltern und der Fachleute ist dabei wesentlich. Es ist wichtig, dass die Eltern sich für die Kinder einsetzen und ihnen genau zuhören, damit eine individuell zugeschnittene Lösung gefunden werden kann.»

Cindy, Sevin und Mael. Drei Kinder – alle anders und doch irgendwie gleich. Sie teilen ein Schicksal mit 350'000 anderen Kindern mit seltenen Krankheiten in der Schweiz. Trotz ihrer Krankheit haben sie – soweit das die Krankheit zulässt – ein Recht auf Normalität, ein Recht auf Integration und ein Recht auf ein möglichst glückliches Leben.

Wir danken dem Förderverein für Kinder mit seltenen Krankheiten (KMSK) für das Bereitstellen dieser eindrücklichen Erfahrungsberichte.


Ist dieser Artikel lesenswert?

Fehler gefunden? Jetzt melden.

Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?