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«Am liebsten gebe ich Vollgas»

Alexandra Helbling ist inkomplette Paraplegikerin. Sie hat gelernt, mit ihrer Behinderung umzugehen und nahm 2021 an den Paralympics in Tokio teil. Im Interview spricht sie über ihren letzten Konzertbesuch und ihr Sexleben.

Alexandra Helbling hat dunkle, mittellange Haare und lächelt in die Kamera. Sie ist inkomplette Paraplegikerin und sitzt im Rollstuhl. Im Hintergrund ist eine grüne Wiese zu erkennen. | © Stiftung MyHandicap / EnableMe

Alexandra Helbling beantwortet Fragen zum Leben im Rollstuhl. (Stiftung MyHandicap / EnableMe)

Alexandra, wünschst du dir manchmal ein Leben ohne Behinderung?

Nein, als ich in den Rollstuhl kam, habe ich mein Leben so umgekrempelt, dass es für mich passt. Ich würde nichts an meinem Leben ändern, immerhin habe ich durch die Behinderung meine Freunde und den Rollstuhlsport gefunden. Und auch beruflich kann ich dasselbe erreichen, wie jemand, der gehen kann. Mein Leben gefällt mir so wie es ist. 

Du hast den Sport angesprochen. Was fasziniert dich am Rennrollstuhl?

Die Geschwindigkeit. Ich habe schon von klein auf immer Vollgas gegeben mit dem Rollstuhl und als ich das Sportgerät bekommen habe, bin ich aufgeblüht. Ich war so schnell. Für mich gibt es kein schöneres Gefühl und ich kann das allen Rollstuhlfahrer:innen, die die Möglichkeit dazu haben und die Sportart mal ausprobieren wollen, nur empfehlen. 

Worauf muss man beim Kauf eines Rennrollstuhls achten?

Ein Rennrollstuhl ist immer eine Massanfertigung. Das ist ganz wichtig. Im besten Fall bestehen die Räder aus Karbon. Der Rollstuhl selbst kann aus verschiedenen Materialien sein. Aus Aluminium oder Karbon zum Beispiel. All das wird für die Athleten angepasst, da entscheidet jeder selber, was für ihn am besten ist. Bei den Rädern ist es genau dasselbe: Es gibt Vierspeichenräder und normale Räder. Das muss man alles austesten, auch die Handschuhe. Schlussendlich entscheidet sich jeder für diejenige Ausrüstung, mit der er am schnellsten ist. 

Spielt das Gewicht auch eine Rolle?

Ja, das macht schon etwas aus. Je schwerer jemand ist, desto mehr Mühe hat er mit dem Anrollen. Nur schon der Start braucht dann mehr Kraft. Wenn man ein Fliegengewicht ist, ist das anders. Und auch die Muskeln spielen eine Rolle. Im Grunde achten Sportler:innen aber eher darauf, ein möglichst tiefes Körpergewicht zu haben. 

Wer Sport macht, schwitzt erfahrungsgemäss. Gehst du eigentlich mit dem Rollstuhl duschen?

Nicht direkt. Ich fahre jeweils zu meinem Duschsitz und schiebe den Rollstuhl aus der Dusche, da er sonst nass wird. In meiner Wohnung ist der Boden zum Glück eben, es gibt keine Schwellen. So kann ich in die Dusche rollen und auf den Sitz transferieren. 

Wenn wir schon bei den intimen Fragen sind: Kannst du trotz deiner Behinderung Sex haben?

Ja, das kann ich. Sex ist eine schöne Sache. Ich habe einen tollen Freund und geniesse unser Sexleben sehr. Auch das will ich nicht missen wollen. 

Du sagtest vorher, dass du schon immer schnell mit dem Rollstuhl unterwegs warst. Kannst du auch langsam fahren?

Ja, natürlich kann ich das. Daran habe ich aber nicht wirklich Interesse. Ich gebe halt gern Vollgas. 

Und darfst du fahren, wenn du betrunken bist?

Ja, aber ich würde es nicht empfehlen. Ich war mal leicht beschwipst unterwegs, was eher unangenehm war. Ich hatte das Gefühl, schräg und wackelig zu fahren. Deshalb habe ich dann eine Stunde gewartet, bis sich das wieder gelegt hatte. Ich kann niemandem im Rollstuhl empfehlen, betrunken herumzufahren. Es ist unangenehm.  

An Konzerten gibt es spezielle Rollstuhlplätze. Wie findest du das?

Ich finde das eine sehr gute Idee. Ich war einmal mit meiner Mutter im Zürcher Hallenstation an einem Konzert von Nightwish, einer meiner Lieblingsbands. Leider hatten wir ganz doofe Rollstuhlplätze, die sehr weit hinten waren. Die Bandmitglieder wirkten wie Ameisen, ich sah gar nichts. Ein normaler Sitz wäre im Nachhinein besser gewesen. Dann wäre ich näher dran gewesen und hätte etwas gesehen. Natürlich war ich etwas enttäuscht, aber jetzt weiss ich es fürs nächste Mal. 

Von dieser Erfahrung können andere Rollstuhlfahrer:innen profitieren. Was können Menschen von dir lernen, die keine Behinderung haben?

Fussgänger können von uns lernen, dass wir nicht «süss» sind, nur weil wir sitzen und dadurch kleiner aussehen. Wir sind ganz normale Menschen, man kann mit uns diskutieren, lachen und uns helfen, wenn wir darum bitten. Darüber sind wir froh. Wenn aber jemand im Rollstuhl selbstständiger werden soll, könnt ihr diese Person ruhig auch mal selber probieren lassen. Sollte sie Hilfe brauchen, kommt sie von selbst auf euch zu. 

Erzähl uns von einer schrägen oder lustigen Begegnung, die du durch deine Behinderung hattest.

Also das Lustigste habe ich an einem Wettkampf erlebt. Ein Kind lief um mich herum, schaute mich an und fragte ganz erschrocken, wo denn meine Beine seien. Ich knie im Rennrollstuhl, man sieht meine Beine wirklich nicht. Daher dachte das Mädchen, ich sei beinamputiert. Ich habe ihr dann gesagt, dass sie meine Füsse sieht, wenn sie um mich herumläuft. Das Kind meinte dann, dass das doch unbequem sein müsse. Es war wirklich sehr fasziniert. Auch andere schauten mich dann erstaunt an, denn es ist ja keine alltägliche Körperposition. Dass jemand denkt, ich hätte keine Beine, passiert mir tatsächlich häufiger. 

Zum Abschluss noch eine letzte Frage: Welche Vorteile hast du durch deine Behinderung?

Ich habe einen ganz klaren Vorteil: Ich habe immer meinen eigenen Stuhl dabei. Wenn ich in einer Bar bin, muss ich nie auf einen Hocker wechseln, denn ich sitze ja bereits in meinem Suhl. Auch sonst muss ich nirgendwo anstehen, ich kann immer sitzen. Andere können das nicht. 

Alexandra Helbling hat an den Paralympics 2020 teilgenommen und ist Botschafterin unseres Angebots «Jugendliche helfen Jugendlichen». Wir danken ihr für ihr Engagement.


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