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So fühlt sich ME/CFS an

ME/CFS (Myalgische Enzephalomyelitis und Chronisches Fatigue Syndrom) ist ein komplexes Krankheitsbild, das sich massiv auf das eigene Leben auswirkt. Betroffene können in unterschiedlichen Graden von der Erkrankung betroffen sein. In einigen Fällen nicht mehr das Haus verlassen und in ausgeprägten Fällen sind die Personen bettlägerig. Mehr als die Hälfte der Personen sind arbeitsunfähig/erwerbsunfähig. Am 12. Mai findet jährlich der internationale ME/CFS Tag statt.

Das Foto zeigt eine Frau, die mit geschlossenen Augen auf einem Sofa sitzt, sie sieht sichtlich erschöpft aus. | © pexels

Betroffene von ME/CFS berichten von permanenter Erschöpfung, die die Lebensqualität beeinflusst. (pexels)

Wir hatten die Möglichkeit, eine Person, die Erfahrung mit ME/CFS hat, zu sprechen und einen Einblick in die Schwierigkeiten der Diagnosefindung, der Sichtbarkeit und der Organisation der neuen Anforderungen des Lebens zu erhalten. Unsere Interviewpartnerin ist 29, Sozialpädagogin und in den letzten Zügen des Masterstudiums Sexualwissenschaften. Seit 2020 hat sie durch Long Covid Erfahrungen mit ME/CFS. Auf ihren Wunsch halten wir den Erfahrungsbericht anonym.

Kannst du unseren Leser:innen erklären, was ME/CFS ist?

ME/CFS ist eine chronische Erkrankung, die sich massiv auf das eigene Leben auswirkt. Die Erkrankung hat mich aus der Bahn und dem eigenen Leben rausgeworfen. Um die zwei Jahre ging mein Gesundheitszustand Richtung bettlägerig. Ich war an das Haus gebunden und konnte nichts mehr machen. Gerade mal mit 26 Jahren war ich nicht mehr in der Lage, arbeiten zu gehen. ME/CFS ist eine Erkrankung, die aber wenig erforscht wird. Wir sind nicht «ein bisschen faul» oder übertreiben, sondern wir haben viel weniger Energie für unseren Alltag. Diese wenige Energie muss ich mir gut einteilen. Vorher waren fünf Minuten spazieren gehen schon zu viel. Weitere Symptome sind «Brain Fog», der begleitet wird von Wortfindungsstörungen, Bauch-, Muskel- und Kopfschmerzen. Die Erkrankung trifft jedes einzelne Organ, denn auch die Organe haben weniger Energie zur Verfügung. Ein Kernsymptom der ME/CFS ist PEM (Post-Exertional Malaise). Wenn man den Körper überlastet, dann kommt es zu einer Verschlimmerung der Symptome, die einen ans Bett fesseln. Ich habe einen milden oder moderaten Verlauf.

Wie bist du zu der Diagnose ME/CFS gekommen?

Ich war lange auf der Suche und bei vielen Ärzten und Ärztinnen. Seitdem gehe ich auch nicht mehr gerne zu Fachpersonen, denn ich wurde oft nicht ernst genommen. «Junge Leute sind oft krank» oder «denen geht es oft schlecht» waren Aussagen, mit denen ich konfrontiert war. Die Suche dauerte so lange, dass ich es schliesslich selbst in die Hand genommen habe. Ich habe einfach kein medizinisches Personal gefunden, das mir weiterhelfen konnte. Ich hatte die Vermutung, eine Nebennierenschwäche zu haben. Es wurde auch tatsächlich eine Nebenniereninsuffizienz festgestellt. Mir wurde Cortison verschrieben. Die Einnahme tat mir aber nicht gut und ich wollte es nicht weiter nehmen. 

Letztendlich bin ich über eine Doku, die mir auf YouTube angezeigt wurde, auf ME/CFS aufmerksam geworden. Ich dachte: «Scheisse, das trifft zu 100 Prozent zu.» Es war gut zu wissen, dass man es sich nicht einbildet. Depressionen wurden auch vermutet. Ich bin daher extra in therapeutischer Behandlung gewesen. Ich dachte, vielleicht stimmt es. Es tat psychisch gut, aber die körperlichen Symptome sind nicht besser geworden. Ich hatte einfach keine Kraft im Körper. Durch eine Heilpraktikerin bin ich auf ein Krankenhaus in München aufmerksam geworden. Dies hat sich auf chronische Erkrankungen spezialisiert. Dort war ich für zehn Tage und die Diagnose ME/CFS wurde bestätigt. Seit diesem Tag hat das Kind einen Namen. Die Suche hat ein Jahr gedauert.

Woher kommt ME/CFS und wie sind die weiteren Aussichten?

ME/CFS kann durch Virusinfektionen ausgelöst werden. Erst im Nachhinein haben sich bei mir die Puzzleteile zusammengesetzt. Anfang März 2020 hatte ich möglicherweise Corona. Zur selben Zeit hatte eine Freundin ebenfalls eine starke Grippe sowie eine Mitbewohnerin. Vermutlich hatten wir alle Corona. Eine Freundin berichtete mir auch, dass sie lange nichts riechen oder schmecken konnte. Da ich später bereits geimpft war, konnte man die Antikörper nicht mehr nachweisen.

Die schulmedizinische Schiene macht mich oft hoffnungslos, da es keine Medikamente gibt. Ich habe angefangen, anderen Menschen mit ME/CFS auf Instagram zu folgen, um dort Wissen zu erhalten. Was machen andere Menschen mit ME/CFS? Einige haben es für sich angenommen. Sie sagen, dass man einen Schwerbehindertenausweis beantragen soll, denn die Erkrankung behindert einen. Diese Schiene hat mir jedoch Angst gemacht. Ich wollte einen eigenen Weg finden. Ich habe die Hoffnung, irgendwann wieder ein normales Leben führen zu können. Ich versuche viel über Essen und Selbstfürsorge. Dies hat mir psychisch einen Auftrieb gegeben.

Ich identifiziere mich nicht mit der Krankheit. Ich verdränge eher, auch wenn dies nicht sinnvoll erscheint. Aber es hat mich dahin geführt, wo ich jetzt stehe. Es geht mir jetzt wesentlich besser als vor 2-3 Jahren. Ich bin nach wie vor nicht gesund, aber ich kann mehr am Leben teilnehmen.

Wie gestaltest du deinen Alltag?

Ich kann für sechs Stunden die Woche wieder als Sozialpädagogin arbeiten. Das ist zwar krass anstrengend und ich habe auch ständig Crashs, aber ich kann das mittlerweile wieder ganz gut durchhalten. Sie kommen auch nicht mehr so oft vor wie früher. Ich brauche jeden Tag einen Mittagsschlaf. Mein Tag ist dadurch geteilt. Er geht bis 12 Uhr und dann ab 15 Uhr wieder weiter. Natürlich muss ich weiterhin gut auf mich aufpassen. Spazieren gehen, auf meine Ernährung achten und mich genügend ausruhen. Ich lebe extrem gesundheitsbewusst, ernähre mich vegan und frei von Gluten und Zucker. Aber auch Ausruhen kann anstrengend sein, wenn man keine Lust darauf hat. Ich habe auch noch regelmässig PEM und gehe dann trotzdem arbeiten. Es ist jedoch deutlich seltener geworden.

Freund:innen treffen, sprechen oder Autofahren war anstrengend. Daher habe ich mein Studium für meine Psyche weiter gemacht. Dass ich wieder arbeiten gehe, ist wichtig für mein Selbstwertgefühl und die psychische Gesundheit. Wenn man einen Crash hat, dann geht es einem auch psychisch sehr schlecht. Dadurch, dass der Körper keine Energie hat, ist die Produktion von Glückshormonen eingeschränkt. Wenn es einem also körperlich nicht gut geht, geht es einem psychisch ebenfalls nicht gut. Mein Studium habe ich nie aufgegeben, um mich an etwas festzuhalten. Das hat mich am Leben gehalten. Dies ist nur einmal im Monat vier Tage lang und fand durch Corona online statt. Jetzt schreibe ich gerade meine Masterarbeit und hoffe, bald wieder mehr arbeiten zu können, denn die letzten drei Jahre waren finanziell schwer.

« Ich hoffe, dass immer weniger Menschen denselben Weg wie ich gehen müssen, um eine Diagnose zu erhalten. »
Wie reagiert dein Umfeld auf die Erkrankung ME/CFS?

Die Reaktionen der Fachpersonen waren für mich richtig schlimm und mir tut jede Person leid, die auf der Suche nach einer Diagnose ist. Es macht mich extrem sauer, dass Ärzte und Ärztinnen denken, dass man, nur weil man jung ist, automatisch gesund ist. Man kann auch alt sein und eine Erkrankung haben. Wenn es einer Person im jungen Alter nicht gut geht und das Blutbild in Ordnung ist, denken viele automatisch an eine Depression. Damals war ich verzweifelt und habe an mir selbst gezweifelt. Ich dachte, dass mit mir etwas nicht stimmt. Aber ich habe gemerkt, dass es etwas Körperliches ist.

Ich hatte ein gutes Umfeld und habe dennoch gleichzeitig gemerkt, dass das Verständnis dafür fehlt, was die Erkrankung mit sich bringt. Es ist für mich auch schwierig zu erklären, was die Tragweite der Erkrankung ist. Einige denken: «Dann chillt sie halt viel». Wie unangenehm es sich anfühlt, können viele nicht nachvollziehen. Ich habe es sehr stark eingegrenzt, welcher Person ich etwas über ME/CFS erzähle. Es triggert mich extrem, wenn jemand unsensibel, wie durch Aussagen: «ich bin auch manchmal müde», reagiert. Glücklicherweise hatte ich einen Partner, der sehr sensibel ist und der mir nie meine Erkrankung abgesprochen hat. Damit hatte ich ganz grosses Glück. Es ist heute noch so, dass er der erste Ansprechpartner für mich ist. Denn er hat alles mitgemacht und versteht, was es bedeutet ME/CFS zu haben. Das können nur Menschen verstehen, die es selbst haben oder die die Auswirkungen jeden Tag sehen. Ich habe ganz oft auf Twitter geschaut und leider manchmal die Kommentare durchgelesen. Menschen reden dort sehr abwertend über ME/CFS. Sie sagen, dass Betroffene faken. Solche Kommentare haben mich immer wütend gemacht.

Welchen Umgang würdest du dir mit ME/CFS wünschen?

Ich wünsche mir, dass wir Menschen mehr lernen, mit dem Schmerz, der da ist, umzugehen. Für viele ist das Thema zu schwer. Ich kann nicht vielen Leuten erzählen, wie es sich wirklich anfühlt. Ich bin immer noch dabei zu lernen, wie ich den Leuten von meiner Erkrankung erzähle und wie ich mit dem Schmerz umgehe, der in mir drin ist. Auch wünschte ich mir, wir würden offener über chronische Erkrankungen und wie es einem wirklich geht, sprechen. Und dass eine Kultur entsteht, in der man sich zeigen kann.

Und ich wünsche mir von Ärzten und Ärztinnen, dass sie sich fortbilden, offen sind und einen Forschungsdrang besitzen. Dass sie sich fragen: «Was könnte dieser Person fehlen», dieser Frage nachgehen und Patient:innen stärker begleiten. Ich habe einfach die Erfahrung gemacht, dass man die eigene Anwältin und die eigene Forscherin sein muss. Und dass man die Erkrankung besser versteht als Fachpersonen. Ich würde mir mehr Forschung wünschen. Also bitte, bitte forscht einfach. Wir haben mittlerweile KIs und gleichzeitig haben wir aber wichtigere Probleme, um die sich gekümmert werden muss. Ich bin super froh, dass BC007ein Medikament ist, das bei Long COVID eingesetzt werden kann.

Was möchtest du anderen Menschen mit auf den Weg geben?

Glaubt euch selbst und lasst euch nicht einreden, dass ihr euch eure Symptome einbildet. Steht zu euch selbst und vertraut euren eigenen Gefühlen, denn man selbst weiss besser, wie es einem geht. Das können Ärzte und Ärztinnen von aussen nicht beurteilen. Sorgt dafür, dass ihr mit einer Person offen über alles reden könnt und findet euren eigenen Weg. Im Mai gibt es eine Demo in Berlin. Leider habe ich nicht die Kraft für politische Themen. Ich hoffe aber, dass sich dies noch ändern wird. Ich habe mich lange Zeit schuldig gefühlt, dass ich schon diese Erkrankung habe und mehr darüber aufklären, Posts in sozialen Netzwerken teilen und Menschen informieren könnte. Aber ich schaffe es nicht. Aber es ist wahrscheinlich okay. Und was ich raten kann: ganz viel Selbstliebe – einfach lieb zu sich selbst zu sein. Macht euch keinen Druck. Ich bin wesentlich fürsorglicher geworden. Ich habe gelernt, mit Humor an die Sache heranzugehen. Vor ein paar Jahren hätte ich das noch nicht gekonnt.


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