Flurina Rigling und ihr Rennvelo: «Motivieren muss ich mich nie»
Flurina Rigling lebt mit Behinderungen an beiden Händen und Füssen. Das hält sie nicht davon ab, ihren Träumen nachzujagen: Die Parasportlerin wurde auf ihrem Rennvelo 2021 Vize-Weltmeisterin im Strassenrennen.
Flurina Rigling an der WM in Portugal. (Privataufnahme)
Sie studiert Politikwissenschaften, liebt die Natur und fährt leidenschaftlich gerne Rennvelo: Flurina Rigling über Rituale vor Wettkämpfen, ihre Ziele und Parasport zu Pandemiezeiten.
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Ich kann heute ein unabhängiges und selbstständiges Leben führen. Ich benötige aber Massschuhe, deren Entwicklung und Anpassung ständig Thema sind, denn dies beeinflusst massgeblich meine Lebensqualität und meinen Radius.
Ich habe mich bei PluSport gemeldet, weil ich nicht mehr alleine und vor allem professioneller Leistungssport betreiben wollte. Der Nationaltrainer, Dany Hirs, hat mich mit seiner Begeisterung angesteckt und zum Rennvelofahren gebracht.
Das Rennradfahren gibt mir Freiheit und erhöht meine Lebensqualität. Es sind die Dynamik und die Geschwindigkeit, welche mich faszinieren. Ich suche hier ständig meine Grenzen und versuche sie zu verschieben.
Beim Paracycling bestreiten Athlet:innen mit Beeinträchtigungen Strassenrennen, Zeitfahren und Bahnrennen. Die Velos sind oft an die Einschränkungen angepasst. Es gibt verschiedene Sportklassen, je nach Beeinträchtigungsgrad.
Paracycler:innen sind eher mit selbstständig Erwerbenden vergleichbar, im Unterschied zum Regelsport, wo die Athlet:innen meist von einem Team angestellt sind. Dies bedeutet, dass viel mehr Eigeninitiative benötigt wird, weil zum Beispiel nicht das Material gestellt wird. Dies ist aber in gewisser Hinsicht auch nötig, da ja jede:r Athlet:in seine eigenen Bedürfnisse hat und das Rad an die Einschränkungen individuell angepasst werden muss. All das ist ein sehr grosser Aufwand, der zum Trainingsaufwand, welcher sich nicht vom Regelsport unterscheidet, hinzukommt. Der Parasport ist heterogener, da die körperlichen Voraussetzungen, aber auch die finanziellen und zeitlichen Ressourcen sehr unterschiedlich sind.
Zum einen habe ich zusätzliche Bremsen, welche am oberen Teil des Lenkers angebracht sind, ähnlich wie bei einem Mountainbike. Zum anderen sind die bestehenden Bremshebel angepasst, damit ich sie besser bedienen kann. Zusätzlich habe ich auf jeder Seite ein Hörnchen, welches mir besseren Halt gibt. Ich benötige ein Trinksystem, sowie Massschuhe.
Ich trainiere meist so zwischen 15 und 20 Stunden pro Woche. Letzte Saison habe ich rund 13'000 Kilometer zurückgelegt.
Richtig motivieren muss ich mich eigentlich nie. Dass es nicht jeden Tag gleich gut läuft, gehört einfach dazu, wenn man das ganze Jahr, jeden Tag trainiert. Was ich mir aber in jedem Training vornehme, ist einfach das Maximum zu geben, was an diesem Tag eben möglich ist.
Michi ist für mich ein absoluter Glücksfall. Wir verstehen uns sehr gut und ich habe absolutes Vertrauen in ihn, was mir viel Druck nimmt. Er leistet unglaublich wertvolle Arbeit und ohne ihn wäre ich definitiv nicht da, wo ich heute stehe.
Ich möchte dieses Jahr unbedingt meine Leistungen bestätigen und aber auch einen Schritt vorwärtsmachen, dazu gehört auch die Teilnahme an der Bahn-WM im Herbst.
Unbewusst spielen sich sicherlich zahlreiche Routinen ein, wie etwa, dass mein Zimmer immer super aufgeräumt sein muss, damit ich nach dem Wettkampf Platz habe und mich gut erholen kann. Ich versuche aber bewusst, mich nicht an zu viele Routinen zu gewöhnen, damit ich nicht aus dem Konzept komme, wenn mal nicht alles so wie immer ist. Musik hilft in solchen Situationen auch, ruhig zu bleiben.
Im jungen Alter würde ich polysportiv unterwegs sein, das legt eine gute Basis. Interessierte Paracycler:innen können sich an PluSport oder über www.paracyling.ch auch direkt an den Nationaltrainer Dany Hirs wenden. PluSport, aber auch Swiss Paralympic bietet Interessierten Beratung. Es gibt Schnuppertrainings, aber auch Ferienlager. Gerade PluSport deckt nicht nur den Bereich Spitzensport ab, sondern fördert auch Breitensport.
Im Alltag erlebe ich direkt relativ wenig Diskriminierung. Ich würde mir allgemein wünschen, dass Menschen mit Behinderungen sichtbarer in diversen Institutionen sind, sei dies nun in den Medien, als Führungspersonen in der Wirtschaft oder in der Politik. Im Sport gibt es immer wieder Momente, in denen der Parasport und die Leistungen der Athlet:innen zu wenig beachtet oder nicht gleich behandelt werden, wie dies im Regelsport der Fall ist. Das stört mich schon sehr und das würde ich gerne ändern.
Für mich stand einfach das Wettkampfgeschehen auf Standby. Trainieren konnte ich aber immer. In diesem Sinne war es für mich eine Chance, da ich mehr Zeit hatte, mich auf die Saison vorzubereiten. Ich konnte am Material arbeiten und durch die Onlinevorlesungen war ich viel flexibler. Ich verbrachte viele Wochen im Tessin. Die Parasportwelt zeigte viel Kreativität, wie man auch zu Hause trainieren kann.
Das ist eine grosse organisatorische Herausforderung. Ich muss sehr langfristig planen, mir überlegen, was gut machbar ist und flexibel bleiben. Manchmal muss ich es darauf ankommen lassen und einfach auf meine Stärken vertrauen, was mir aber nicht immer leicht fällt. Auf der anderen Seite ist es auch ein guter Ausgleich und zwingt mich, effizient zu arbeiten, im Sport und im Studium.
In der Natur kann ich mich unglaublich gut erholen. Sei es nun beim Schwimmen im nahen Naturweiher zu Hause, beim Pilzen im Wald oder auf einem meiner täglich Spaziergängen, aber auch bei der Gartenarbeit kann ich gut nachdenken.
Wir danken Flurina Rigling für das Interview. Flurina ist Parasportlerin und engagiert sich mehr Sichtbarkeit von Sportler:innen mit Behinderungen. Hier lesen Sie ein Interview mit der Parasportlerin Sandra Stöckli.