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Leben mit Phantomschmerz nach Amputation

Rund 70 Prozent aller Menschen mit Amputation leben mit Phantomschmerz. Behandlungsmöglichkeiten gibt es viele, Erfolgsgarantie keine.

Detailansicht der Sprossachse einer Rose | © pixabay

Phantomschmerzen sind für die Betroffene so echt, wie für uns der Stich einer Dorne. (pixabay)

«Phantomschmerzen sind wie Zahnschmerzen. Nur schlimmer. Wie ein scharfes Messer, das immer und immer wieder durch die Haut sticht», beschreibt Biljana Andric ihre Phantomschmerzen. Die Schmerzen setzten bei ihr direkt nach der Amputation ein. Weggegangen sind sie seitdem nicht.

Auch Wolfs Phantomschmerz sucht ihn immer wieder heim. Der Phantomschmerz des handamputierten Mannes ist sehr eng mit Stumpfschmerz und Phantomgefühl verbunden. Theoretisch werden diese drei Arten von Schmerzen voneinander unterschieden. 

Schmerzdefinition und Entstehung

Während der Stumpfschmerz auf den Stumpf beschränkt ist, handelt es sich beim Phantomgefühl um «Empfindungen, als sei das amputierte Glied immer noch vorhanden. Man spürt immer noch, wie die Bettdecke die Zehen berührt oder in welcher Stellung der Arm liegt», erklärt der Mediziner Doktor Heinz Süsstrunk.  

Phantomschmerz äussert sich unterschiedlich. «Meist handelt es sich um ein Brennen oder Stechen irgendwo im nicht mehr vorhandenen Glied oder es sind elektrisierende Schmerzen oder Krämpfe. Gelegentlich spürt man unspezifische Schmerzen oder ein unangenehmes Gefühl. Jede erdenkliche Form ist möglich.», sagt Süsstrunk, der selbst oberschenkelamputiert ist.

« Das Schreckliche dabei ist, dass man nichts dagegen tun kann wie berühren, kratzen oder massieren, da ja nichts mehr vorhanden ist »

«Der Schmerz entsteht dort, wo das Gehirn betroffen ist, beziehungsweise dort, wo das entsprechende Glied im Hirn repräsentiert ist», erklärt Doktor Süsstrunk. Auch Menschen mit einer Para- oder Tetraplegie oder einem Hirninfarkt (Hirnschlag) können Phantomschmerz empfinden.

Bei Menschen mit Amputation liegt die Häufigkeit von Phantomschmerzen bei etwa 70%.
Zur Entstehung von Phantomschmerz und der Ausbildung des Schmerzgedächtnisses erklärt Süsstrunk: «Es scheint, als sei uns ein Integritätsgefühl des Körpers eigen. Das erklärt, warum Menschen mit fehlenden Gliedern Gefühle in einer Extremität entwickeln, die gar nie vorhanden war beziehungsweise nicht mehr vorhanden ist. Unser Körper betrachtet unseren Körper immer noch als komplett. Der Mensch sendet Signale in das fehlende Glied und erhält keine Antwort. Das tut er wieder und wieder, bis er diese fehlenden Signale als Verletzung empfindet und sich der Mensch mit Schmerz vor einer weiteren Verletzung schützt. Das Fehlen der Signale hält an und wir entwickeln ein Gedächtnis dafür.»  

Der Arzt empfiehlt, den Schmerz, der rasch nach der Amputation auftritt, am besten sogleich zu behandeln, bevor sich ein kräftiges Schmerzgedächtnis ausbilden kann.

Ein Haufen voller Tabletten.  | © pixabay Medikamente wie zentral wirkende Schmerzmittel oder Neuroleptika können Phantomschmerzen lindern. (pixabay)

Behandlungs- und Therapiemöglichkeiten

Die Behandlungsmethoden von Phantomschmerz sind sehr vielfältig. Als medikamentöse Therapie eignen sich zentral wirkende Schmerzmittel, die die Schmerzen im Gehirn unterdrücken. Ebenso zeigen Neuroleptika Wirkung. «Bei diesen Mitteln gegen Schizophrenie und anderen Schizotypien ist der Schmerz zwar noch da, aber er ist einem egal. Zentral wirkende Schmerzmittel und Neuroleptika werden meist kombiniert verordnet. Eine Linderung der Schmerzen kann sich auch bei der Einnahme von Mitteln gegen Epilepsie und Antidepressiva einstellen», erklärt Doktor Süsstrunk.  

Zur Lockerung des Schmerzes im Gehirnbereich können Elektroden zur Stimulation im Gehirn oder Rückenmark implantiert werden. Der Befehl zur Stimulation wird bei Bedarf durch den Betroffenen mittels Radiosender abgegeben. «Das Einsetzen der Elektroden ist allerdings risikoreich», sagt Süsstrunk.

Auch mithilfe Biofeedback, TENS (Transcutane elektrische Neurostimulation) oder Massagen kann es zur Entspannung bei Krämpfen kommen. Biljana Andric hat viel ausprobiert. «Ich habe viel gemacht, zum Beispiel Gabapentin, Oxygesic, Autogenes Training, Akupunktur, Meditation, Traumatherapie, TENS, Homöopathie, Spiegeltherapie und so einiges mehr.», sagt Andric.

« Die Schmerzen wurden durch nichts besser. »

Spiegeltherapie und Phantomschmerz

Doktor Süsstrunk hält viel von der seit der Jahrtausendwende im deutschsprachigen Raum angewandten Spiegeltherapie. «Die Spiegeltherapie ist eine aktive Therapie, bei der der Patient nicht auf den Therapeuten angewiesen ist», erklärt der Arzt.  

Während der Spiegeltherapie wird ein Spiegel so zwischen die intakte und amputierte Gliedmasse gestellt, dass die Patientin bzw. der Patient beim Blick in den Spiegel den Eindruck erhält, er hätte wieder zwei gesunde Arme oder Beine. Bei der Bewegung und Berührung der gesunden Gliedmasse hat der Patient den Eindruck, dass er die Phantomgliedmasse bewegt beziehungsweise diese berührt wird. Dadurch kann es zu einer Linderung der Schmerzen kommen.

Ob die Spiegeltherapie tatsächlich zur Reduktion von Phantomschmerzen beiträgt, ist wissenschaftlich noch nicht ausreichend bewiesen. «Die Spiegeltherapie wird erst in den letzten Jahren systematisch angewendet. Bei Schlaganfallpatienten in Bezug auf die oberen Gliedmassen ist die Wirkung der Spiegeltherapie bereits recht gut belegt, bei Schmerzpatienten wie bei Phantomschmerz stehen grössere kontrollierte Studien noch aus», erklärt der Epidemiologe, Gesundheitswissenschaftler und Physiotherapeut Andreas Rothgangel.  

Rothgangel hat 2001 begonnen, sich im Rahmen seiner Abschlussarbeit für den Studiengang Physiotherapie wissenschaftlich mit dem Thema Spiegeltherapie zu befassen. Aktuell leitet Rothgangel im Rahmen seiner Promotion ein Projekt zur Therapie von Patienten mit Phantomschmerzen, das im Sommer 2011 starten soll.

Zwei Männer mit Masken gehen mit zwei kleinen Hunden spazieren | © pixabay Trotz Amputation führen viele ein normales Leben. Phantomschmerzen können die Lebensqualität jedoch beeinträchtigen. (pixabay)

Warum die Spiegeltherapie bei der Linderung von Phantomschmerz funktionieren soll, ist bisher laut Rothgangel, noch nicht hundertprozentig geklärt. «Es gibt Studien, die zeigen, dass sich unser Körperbild nach einer Amputation verändert. Das Körperbild ist die Repräsentation (Verankerung) unserer einzelnen Körperteile im Gehirn. Diese Anlage beziehungsweise «Verankerung» unseres Körpers im Gehirn wird auch als Homunculus bezeichnet. Je mehr ein Körperteil benutzt wird, umso stärker ist er im Gehirn repräsentiert. Wird er weniger benutzt, oder ist er nicht mehr vorhanden, nimmt die Repräsentation ab und es kann zu Wahrnehmungsstörungen und Schmerzen kommen. Mit der Spiegeltherapie versucht man dem Gehirn wieder ein ,normales' Bild zweier intakter Gliedmassen zu vermitteln. Dies führt dazu, dass die nicht mehr genutzten Teile des Gehirns durch die Illusion zweier gesunder Extremitäten wieder mit Informationen versorgt werden. Die eigentlich nicht mehr vorhandene Gliedmasse ist wieder im Gehirn verankert. Als Folge hierauf kann es zu einer Reduktion des Phantomschmerzes kommen. Das Gehirn «beruhigt» sich», erklärt Rothgangel.

Spiegeltherapie in der Praxis

Wer sich für eine Spiegeltherapie entscheidet, muss viel Zeit, Geduld und Disziplin mitbringen. «In der Anfangsphase wird in der Regel dreimal in der Woche mit dem Therapeuten geübt und dreimal am Tag für ungefähr zehn Minuten allein. Mit der Zeit wird die Frequenz der Therapieeinheiten mit dem Therapeuten reduziert», sagt die Ergotherapeutin Petra Neumeier.

Neumeier bietet die Spiegeltherapie seit einem Jahr in ihrer Praxis an. «Am Anfang der Therapie ist eine engmaschige Betreuung wichtig, damit es zu keinen Irritationen kommt und die Motivation erhalten bleibt. Wesentlich ist, dass die Übungen individuell auf den Patienten angepasst sind und der Spiegel beim Üben im richtigen Winkel steht», erklärt Neumeier. «Der Patient muss die Übungen konzentriert und bewusst durchführen, nicht automatisiert oder nebenbei», weiss die Therapeutin.  

Auch die Technik der virtuellen Realität wird für die Behandlung von Phantomschmerz eingesetzt. Die Grundlage ist derjenigen der Spiegeltherapie ähnlich. Die reale Gliedmasse des Betroffenen wird an ein Interface angeschlossen. Durch dieses kann er beobachten, wie sich zwei Gliedmassen in einer computergenerierten Simulation bewegen. Die dabei entstehende Illusion ist jedoch stärker als die der Spiegeltherapie.

Den eigenen Weg finden

Biljana Andric und Wolf sind im Umgang mit ihrem Phantomschmerz weder von der Spiegeltherapie, noch von der Einnahme von Medikamenten, noch von sonst irgendeiner Therapie oder Methode überzeugt. Sie haben ihre eigenen Wege gefunden, mit ihren Schmerzen umzugehen.

So unterschiedlich sich Phantomschmerz äussert, so vielfältig sind seine Behandlungsmöglichkeiten. Was der einen betroffenen Person hilft, kann sich für den anderen eher negativ auswirken. Den richtigen Weg im Umgang mit dem Schmerz muss jeder für sich selbst finden. Ärtzeschaft, therapeutisches Fachpersonal, Freunde, Familie, der Glaube zu Gott, zu sich selbst und zum Leben können dabei helfen.


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