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Sexualassistenz

Wenn Lust und Liebe sich nicht selbst ergeben, kann und darf nachgeholfen werden. Was viele mit Prostitution gleichsetzen, sind Berufe im Bereich der Sexualassistenz – also von Menschen, die Menschen mit Behinderungen zu sexueller Entfaltung verhelfen. Die Sexualassistenz ist eine oft noch immer tabuisierte Form gelebter Erotik.

Eine Frau sitzt nachdenklich auf ihrem Bett. | © pexels

Wenn Lust und Liebe sich nicht selbst ergeben, kann und darf nachgeholfen werden. (pexels)

Die Behindertenrechtskonvention ist das erste offizielle Dokument, welches Behinderung aus Sicht der Menschenrechte und Selbstbestimmung würdigt. Hierzu zählt auch die sexuelle Entfaltung, die in den Menschenrechten zwar nicht explizit erwähnt wird, wohl aber integraler Bestandteil der menschlichen Freiheit ist. Zweck dieses Übereinkommens ist es, den vollen und gleichberechtigten Genuss aller Menschenrechte und Grundfreiheiten durch alle Menschen mit Behinderungen zu fördern, zu schützen und zu gewährleisten und die Achtung der ihnen innewohnenden Würde zu fördern.

Zugang zur eigenen erotischen Erfahrungswelt öffnen

Deshalb ist der Beruf von Berührer:innen oder Sexualassistent:innen ein Beruf im Sinne der Menschenrechte. Sie haben die Aufgabe, Grundbedürfnisse jener Menschen zu befriedigen, die diese nicht alleine stillen können. Ihr Auftrag ist die Bereitschaft, Intimität mit Menschen mit Behinderungen zu teilen. Anders als in der Prostitution geht es also nicht um die willkürliche Befriedigung sexuellen Verlangens von Kund:innen, sondern darum, einen gemeinsamen intimen Weg zu beschreiten, der über das Ausleben sexueller Kontakte hinaus den behinderten Menschen einen Zugang zur eigenen, erotischen Erfahrungswelt öffnet.

Hilfe zur Selbsthilfe – ein Erfahrungsbericht über Sexualität

Martin leidet seit seiner Kindheit an einer degenerativen Muskelerkrankung. Seit seinem 8. Lebensjahr ist er auf einen Rollstuhl angewiesen. Seine Jugend verbrachte er im Heim, in dem er noch heute in einer Wohngruppe lebt. Martin besuchte die Schule und absolvierte eine verkürzte kaufmännische Lehre. Wie jeder junge Mensch entwickelte auch Martin sexuelle Gefühle. Doch leider blieben seine Versuche, eine Partnerin zu finden, bisher erfolglos. In den vergangenen Jahren hatte er sich schon oft in Pflegerinnen verliebt. Doch diese konnten und durften seine erotischen Wünsche nicht erfüllen. Selbstbefriedigung ist für Martin unmöglich, da seine Arm- und Handmuskulatur durch seine Behinderung sehr geschwächt ist. So kam Martin mit der Zeit zunehmend in einen sexuellen Notstand. 
 
Vor einigen Jahren ist er dann auf das Angebot der Sexualassistenz gestossen, welches er seither regelmässig in einem behindertengerecht eingerichteten Massagestudio in Zürich in Anspruch nimmt. «Als ich vor ein paar Jahren von den diversen Angeboten hörte, habe ich einiges ausprobiert. Ich habe gemerkt, dass für meine Art von Behinderung erotische Massagen ideal sind», so Martin.  

Eine Frau bei einer sinnlichen Massage. | © pexels Im Aufgabenfeld der Sexualassistenz liegen erotische Massagen. (pexels)

Mehr Lebensfreude dank Zärtlichkeit

Esther hat durch Sexualassistenz mehr Lebensfreude und -qualität gewonnen. Sie leidet an Krampf- und Schmerzattacken, die mehrere Wochen anhalten. Aufgrund der Erkrankung wurde sie arbeitslos und in ihrem Privatleben immer einsamer. Sie hatte lange – aufgrund familiärer Erfahrungen – Angst vor Sexualität und fühlte körperlich nur wenig. Sie selbst sagt: «Mit der Zeit verlor ich die Kraft, das Schöne, das Kleine im Leben zu sehen. Depressionen kamen zu den Schmerzen hinzu.» Sie meldete sich bei der Berührerin Michelle mit dem Wunsch, eine andere Frau zu umarmen. Zur ersten Begegnung erinnert sie sich: «Es war wunderschön, zum ersten Mal einen anderen nackten Körper zu spüren, diese schöne Wärme; ganz sanft und liebevoll berührt zu werden und selbst berühren zu dürfen war das Wunderbarste, das ich je erlebt hatte.» Über eine längere Zeit wurden auch erotische Berührungen möglich. Dazu sagt Esther: «Mein Körper fühlt sich trotz der Krankheit seit den einfühlsamen Massagen und zärtlichen Berührungen viel entspannter und energievoller an. Ich habe gelernt, meinen schmerzenden Körper dank der Berührungen anzunehmen, zu akzeptieren und habe ihn liebgewonnen.» 
 
Esther ist nur ein Beispiel, wie Sexualassistenz nicht nur erotische Sehnsüchte stillt, sondern auch ein neues, tieferes Körperbewusstsein erlaubt, Selbstbewusstsein fördert und die Liebe zu sich selbst entdecken lässt.

Berühren, aber nicht verführen

Oft ist es für Menschen mit Behinderungen sehr schwierig, passende Sexualpartner:innen zu finden. Für viele bleibt es ein Leben lang ein Traum, eine Beziehung zu führen und eine partnerschaftliche Sexualität zu erleben. Natürlich ist Sexualassistenz kein vollständiger Ersatz für eine Partnerschaft. Doch immerhin ist es so möglich, zumindest ein Stück weit den Bedarf nach Nähe und Sinnlichkeit abzudecken.

Es wird zwischen der passiven und der aktiven Sexualassistenz unterschieden. Unter den ersteren Begriff fallen zum Beispiel das Besorgen von Verhütungsmitteln, Sexspielzeugen und pornografischen Werken, das Auskleiden eines Paares oder die Vermittlung eines Kontakts zu Prostituierten. Die assistierende Person wird selbst also nicht mit in die sexuellen Handlungen mit einbezogen. Zu der aktiven Sexualassistenz zählt die Hilfe bei Masturbation und Onanie oder die Unterstützung eines mobilitätsbehinderten Paares beim Geschlechtsverkehr. Die Grenzen zwischen aktiver Sexualassistenz und der folgenden Sexualbegleitung können fliessend sein. Da die Tätigkeit frei ausgeübt werden kann, gibt es keine einheitliche Bezeichnung. Die Dienstleistungen sind auf Sexualassistent:innen bezogen, aber auch auf Berührer:innen, wobei Letzteres die ursprüngliche Berufsbezeichnung ist. Die Berufsbezeichnungen sind nicht geschützt, sodass es auch Gemeinsamkeiten mit Sexualbegleiter:innen gibt. In der Schweiz sind die Berufsbezeichnungen so frei wie die Ausbildungsmöglichkeiten, weswegen im Grunde jeder, der diese Dienstleistungen anbietet, sich so nennen darf. Das erschwert die Qualitätssicherung. Andererseits haben Menschen so Zugang zu diversen Angeboten, was wiederum von Vorteil ist.


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