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Als meine Mutter Krebs bekam wurde ich Young Carer

Mein Name ist Giulia, ich bin 26 Jahre alt. Als Teenager wurde ich aufgrund der Krebserkrankung meiner Mutter zum Young Carer. Gleichzeitig entwickelte ich Depressionen und leide bis heute unter einer sozialen Angststörung. Doch inzwischen befinde ich mich an einem anderen Punkt in meinem Leben.

Teenage Mädchen sitz lächelnd auf einem Skateboard. Sie hat longe blonde Haare, trägt eine Regenjacke und schwarze zerrissene Jeans.  | © Privataufnahme

Giulia wurde mit 16 ein Young Carer. Heute schaut sie auf diese Zeit zurück. (Privataufnahme)

Leider gelten all diese Themen nach wie vor als Tabu. Besonders in Bezug auf den Krebs standen die Aufmerksamkeit und das Mitgefühl ausschliesslich meiner Mutter zu, was an sich natürlich nichts Negatives ist. Aber damals, mit 16 oder 17 Jahren, wurde ich als ihre Tochter völlig übersehen. Als meine Mutter nach einem Nahtoderlebnis aus dem Krankenhaus entweder in eine Reha oder nach Hause entlassen werden sollte, entschied man sich für Letzteres – mit der Begründung, dass sie ja eine Familie habe, die sich um sie kümmern würde. Mit «Familie» war ich gemeint, eine 17-Jährige, die eigentlich ein Fernstudium absolvieren sollte, aber kaum noch schulisch etwas auf die Reihe brachte, weil jeder Tag der letzte mit meiner Mutter hätte sein können.

Was ist ein Young Carer?

Ein Young Carer ist ein Kind oder eine jugendliche Person, die ein Familienmitglied mit einer Krankheit oder Behinderung regelmässig unterstützt. Diese Unterstützung kann Aufgaben im Haushalt, emotionale Hilfe oder auch Pflege beinhalten. Young Carers tragen oft eine grosse Verantwortung neben Schule und Freizeit, was sie emotional und körperlich belasten kann. Ihre Situation bleibt oft unbemerkt, da sie selten darüber sprechen.

Ich fühlte mich von den Ärzten im Stich gelassen. Unter normalen Umständen, oder zumindest nach solch schwerwiegenden Operationen, wäre meine Mutter in professionelle Hände gekommen – und nicht in meine. Familie und Freunde nannten mich egoistisch, weil ich mich nicht uneingeschränkt darüber freute, dass meine Mutter nach Hause kam. Dabei hatte ich einfach furchtbare Angst, dass etwas Schlimmes unter meiner Verantwortung passieren könnte. Mein Vater verstand zwar meine Lage, hatte aber gerade frisch einen neuen Job angefangen, weshalb ich alleine mit meiner Mutter war. Während des Krankenhausaufenthalts hatte er noch mehr Zeit für uns, aber das änderte sich, als sie nach Hause kam.

« So schwer es für mich war, nichts war schlimmer, als zu sehen, wie meine Mutter litt – ich hätte ihren Schmerz gerne übernommen. »
Giulia

Eine Zeit lang war das Verhältnis zwischen meiner Mutter und mir umgekehrt, wie es bei vielen Young Carers der Fall ist. Dank eines guten Gesprächs mit einer Therapeutin und durch das Wissen über die Situation von Young Carers konnten wir, als es meiner Mutter besser ging, wieder in ein normales Mutter-Tochter-Verhältnis zurückfinden. Heute ist meine Mutter weitgehend gesund, und Rückfälle treten nur selten auf – meist als Folge der Langzeitschäden ihrer Therapie, nicht in Form von Krebs selbst.

Meine Depression und Angststörung verschlimmerten sich, als die Situation mit meiner Mutter sich beruhigt hatte – vielleicht, weil ich nicht mehr nur funktionieren musste. Beide Krankheitsbilder hatten einen enormen Einfluss auf meinen Alltag. Obwohl ich mein Leben lang als Frühaufsteherin galt, fiel es mir plötzlich schwer, überhaupt aus dem Bett zu kommen. Ich brach das Gymnasium ab, aber auch in der Lehre wurde es nicht einfacher.

Meine Angststörung führte dazu, dass es mir bereits sonntags schlecht ging. Ich bekam Panikattacken und konnte oft nicht zur Schule. Es fühlte sich an, als hätte mein Körper vergessen, wie man sich bewegt, und selbst wenn, war es, als wären mir Gewichte an den Körper geschnallt. Irgendwann hatte meine Lehrstelle genug von den vielen Fehlzeiten – obwohl meine Leistungen mehr als ausreichend waren – und ich musste mir einen anderen Weg suchen, um meine Ausbildung abzuschliessen.

Ich liess meine Depression auf viele verschiedene Arten behandeln: Ich war stationär in Kliniken, nahm jahrelang an Gesprächstherapien teil, probierte Akupunktur, Medikamente, homöopathische Behandlungen und vieles mehr. Heute bin ich medikamentenfrei und gehe nur noch selten zur Therapie.

Viele fragen mich, welche von all diesen Methoden am meisten geholfen hat. Die kurze Antwort: Wissen. Das Verstehen der Krankheitsbilder, das Erlernen von Bewältigungsstrategien – das war für mich entscheidend. Zum Beispiel zu wissen, dass ich während einer Panikattacke nicht wirklich sterben werde. Es klingt banal, aber dieses Wissen hat mir enorm geholfen.

Ich würde nicht jedem raten, so viele verschiedene Methoden gleichzeitig auszuprobieren wie ich. Aber ich ermutige jeden, den Mut zu haben, sich Hilfe zu holen und Neues auszuprobieren. Wenn etwas nicht funktioniert, bedeutet das nicht, dass nichts funktioniert oder dass es keine andere Lösung gibt.

Egal, ob du selbst betroffen bist oder jemanden kennst, der betroffen ist – ich wünsche dir alles Gute. Habe den Mut, darüber zu sprechen. Und falls du Fragen hast, erreichst du mich gerne in der Community.


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