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«Bei einem Leben mit einem Team von Assistenzpersonen müssen täglich ganz viele Entscheidungen getroffen werden.»

Nadja Schmid, Gründerin der Firma «you are never alone» und Co-Präsidentin des Fördervereins CléA, lebt ein eigenständiges und selbstbestimmtes Leben mit ihrem Partner und einem Team von rund 12 persönlichen Assistentinnen und Assistenten. Obwohl es viel Energie und Ressourcen in Anspruch nimmt, möchte sie ihre dadurch gewonnene Freiheiten nicht mehr missen. Als selbstständige Lebensberaterin berät sie unter anderem Assistenznehmende bei der Herausforderung ein Leben mit Assistenz zu meistern.

Nadja Schmid | © Nadja Schmid

Nadja Schmid wird von einem Team von Assistenzpersonen im Alltag unterstützt. (Nadja Schmid)

Du bist Lebensberaterin und unterstützt auch explizit beim Leben mit Assistenz. Was ist das Besondere an deiner Beratung?

Als Selbstbetroffene lebe ich bereits seit über 15 Jahren mit Assistenz und habe bereits unzählige Erfahrungen gesammelt. Ich habe vermutlich über 400 Bewerbungsgespräche geführt und auch schon schwierige Situationen erlebt. Deshalb kenne ich die ganz spezifischen Probleme und Ansprüche der Assistenznehmenden. Als Lebensberaterin kenne ich aber auch die Psychologie dahinter. Ich führe Personen, die meine Beratung in Anspruch nehmen, darin ein, wie wichtig klare und gewaltfreie Kommunikation für ein gutes Arbeitsverhältnis ist. Und ich vermittle in schwierigen Situationen.

Mit welchen typischen Fragen kommen die Menschen zu dir?

Typische Problemstellungen sind zum Beispiel «Ich finde keine persönlichen Assistentinnen, Assistenten.» oder «Ich bin unzufrieden mit meiner persönlichen Assistentin, meinem persönlichen Assistenten.». Sie zeigen, dass oftmals die personellen Erfahrungen fehlen, um eine persönliche Assistenzperson einzustellen und dann auch mit ihr zusammenzuarbeiten.

Wie berätst du sie in diesen Situationen?

Eine Beratung läuft nie gleich ab und ist abhängig von der Ausgangslage. Wenn es beispielsweise Diskrepanzen zwischen der persönlichen Assistenzperson und dem Assistenznehmenden gibt, dann sind unter Umständen drei Coachings notwendig. Je ein Coaching mit jedem Einzelnen und ein gemeinsames. 

« In vielen Situationen bin ich die helfende Hand. »
Nadja Schmid

Wenn es Probleme mit den Bewerbungen sind, dann baue ich es so auf, dass ich zunächst ein Bewerbungsgespräch mithöre, ohne mich einzubringen. Danach bespreche ich zusammen mit dem Assistenznehmenden, was hätte besser gemacht werden können. Zum Beispiel melde ich zurück, wo zu unklar kommuniziert, zu herrisch oder zu schnell gesprochen wurde. Zum Schluss führen wir gemeinsam ein zweites, gutes Bewerbungsgespräch durch. 

Wichtig ist mir, dass sowohl die persönlichen Assistent:innen als auch die Assistenznehmenden merken, dass wenn sie sich anders verhalten, es auch anders kommt. In vielen Situationen bin ich die helfende Hand.

Du lebst selbst mit Assistenz. Wie hat bei dir alles begonnen?

Ich lebe seit Beginn, also seit über 15 Jahren, mit Assistenz. Damals war es noch ein Pilotprojekt. Da ich noch sehr jung war, war natürlich auch meine Mutter involviert. Diese Erfahrung und auch die Unterstützung meiner Mutter hat mir ermöglicht, dass ich bereits mit 21 Jahren von Zuhause ausziehen konnte und seitdem selbstständig und selbstbestimmt leben kann. Heute lebe ich mit meinem Partner in einem Haus mit Garten. Da wir immer viele persönliche Assistent:innen bei uns haben, ist es auch oft wie eine grosse Wohngemeinschaft.

Worauf hast du bei der Anstellung deiner persönlichen Assistentinnen und Assistenten geachtet? Was war dir wichtig?

Ich entscheide immer zu 100 Prozent nach Bauchgefühl und Sympathie. Auch wenn ich womöglich eine top-qualifizierte Person zum Bewerbungsgespräch einlade, ich aber nicht weiss, worüber ich mit ihr sprechen soll, kommt sie für mich nicht infrage. Schlussendlich verbringen wir viel Zeit miteinander und da fährt man in der Regel besser, wenn eine gute Basis vorhanden ist.

Darüber hinaus ist mir aber auch wichtig, dass die persönlichen Assistentinnen und Assistenten sehr eigenverantwortlich arbeiten. Ich gebe ihnen sehr viel Verantwortung ab, so habe sie zum Beispiel fixe und immer dieselben Einsätze und wenn sie Ferien machen möchten, müssen sie selbstständig Ersatz finden. Dies fördert die Verantwortung und ich muss nicht ständig Arbeitspläne schreiben. Man muss sich das Leben ja nicht unnötig schwierig machen. 

Was waren oder sind Herausforderungen?

Oftmals sind es Fragen der Nähe und Distanz. Auf der einen Seite haben die persönlichen Assistent:innen und ich ein professionelles Arbeitsverhältnis, auf der anderen Seite pflegen wir ein sehr vertrautes, freundschaftliches Verhältnis. Wir verbringen sehr viel Zeit miteinander und wissen sehr viel übereinander. Dieses freundschaftliche Verhältnis macht es dann aber schwierig, wenn etwas nicht so gut läuft. Wenn man also plötzlich der «Chef» sein muss. Deshalb lege ich viel Wert darauf, dass wir die Aufgaben und Rahmenbedingungen schriftlich festhalten. Das sind auch ganz konkrete Dinge, wie, wer bezahlt die Busse, wenn die persönliche Assistentin, der persönliche Assistent zu schnell fährt? Oder wer kommt an für Schäden in der Wohnung auf? Ist es einmal geklärt und schriftlich festgehalten, ist eine gute Basis geschaffen und es vermeidet Konflikte. Ich kann ein Dokument zücken und die Sache hat sich erledigt.

Was hindert deiner Meinung nach Personen daran, den Assistenzbeitrag zu beantragen?

Bei personellen Fragen gibt es leider sehr wenig Unterstützung. Es gibt keine Möglichkeiten, Unterstützung von einer Behörde oder Organisation einzufordern, was dann halt zu schwierigen Situationen führen kann. Eine Voraussetzung für ein erfolgreiches Leben mit Assistenz ist für mich, dass jemand selbstbestimmt leben kann und will, aber auch organisieren und administrative Aufgaben übernehmen kann.

« Bei einem Leben mit Assistenz müssen täglich ganz viele Entscheidungen getroffen werden. »
Nadja Schmid

Es braucht aber auch Mut, diesen Weg einzuschlagen. Man befürchtet abhängig, oder plötzlich alleine zu sein. Deshalb rate ich jeweils, neben Plan A, unbedingt auch einen Plan B oder sogar C zu entwickeln. Denn wenn zum Beispiel eine meiner persönlichen Assistenten auf dem Weg zur Arbeit einen Velounfall hat oder krank wird, dann bleibe ich unter Umständen den ganzen Tag im Bett liegen. Solche Vorstellungen sind nicht sehr angenehmen und können Angst machen. Deshalb versuche auch ich, für alle Situationen einen Plan B zu haben.

Was rätst du anderen, die vor der Entscheidung stehen, weiterhin im Heim oder im eigenen Zuhause zu leben?

Ich empfehle jeweils eine Liste zu erstellen, mit den Vorteilen eines Lebens Zuhause und eines Lebens im Heim. Aber auch eine solche Liste mit den Nachteilen. Denn obwohl das Leben mit Assistenz unglaublich viele Freiheiten bietet, muss auch sehr viel Eigenverantwortung übernommen werden. Es bedeutet administrativer und organisatorischer Aufwand und es müssen täglich ganz viele Entscheidungen getroffen werden, die einem im Heim abgenommen werden. Zum Beispiel entscheide ich jeden Tag, was ich essen möchte und muss dann den Einkauf und die Zubereitung dafür organisieren. Etwas, das einem im Heim abgenommen wird.

CléA Assistenzplattform

Der Förderverein CléA hat im März 2021 das erste Modul seiner «CléA Assistenzplattform» veröffentlicht. Das digitale Hilfsmittel soll Menschen mit Behinderungen helfen, das Leben mit Assistenz zu vereinfachen, angefangen bei der Personalsuche. Das erste Modul, die «CléA Jobplattform», bringt Betroffene mit persönlichen Assistenzpersonen zusammen. Die CléA Assistenzplattform schafft für Menschen mit Behinderungen ein digitales Hilfsmittel, das die von der UNO-Behindertenrechtskonvention geforderte Gleichstellung und Selbstbestimmung in allen Lebensbereichen ermöglicht. Der Förderverein CléA ist Partner von EnableMe.


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