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Erfahrungsbericht: Aufwachsen mit einem narzisstischen Vater

Wenn ich beginne, über meinen Vater zu schreiben, spüre ich sofort den inneren Impuls, mich zu rechtfertigen – aus Angst, als überempfindlich oder nachtragend abgestempelt zu werden. Obwohl längst klar ist: Rücksicht schulde ich ihm keine mehr. Trotzdem löst das Nachdenken darüber körperlichen Stress aus. Mein Nacken verkrampft sich, der Kopf beginnt zu pochen. Ein einziger Gedanke reicht, um meinen inneren Alarm auszulösen.

Junge Frau sitzt mit geschlossenen Augen und aneinandergelegten Händen auf den Knien. Sie wirkt nachdenklich oder erschöpft. Im Hintergrund ist ein heller Raum mit Möbeln erkennbar. | © Canva

Clara* spricht über die Zeit mit ihrem narzisstischen Vater. (Canva)

Die idealisierte Vaterfigur

Als Kind hätte ich nie gedacht, dass ich irgendwann so über meinen Vater denken würde. Ich habe ihn bewundert. Ich wollte ihm gefallen. Die Beziehung war nicht von Anfang an destruktiv – sie kippte erst später. Doch rückblickend gab es auch früher schon Momente, in denen ich spürte, dass etwas nicht stimmt. Wie an dem Tag im Freizeitpark, als ich Angst vor der grossen Rutsche hatte. Mein Vater versicherte mir, es sei dieselbe wie die harmlose Rutsche, die ich kannte – dabei war es die höchste und schnellste im ganzen Park. Ich konnte noch nicht lesen und vertraute ihm. Erst als ich allein durch die enge Röhre schoss, wurde mir klar, dass er mich absichtlich in die grosse Rutsche geschickt hatte. Unten angekommen, weinend und verängstigt, lachte er mich aus.

Vertrautheit – und Rollentausch

Als ich älter wurde, begann eine paradoxe Dynamik: Ich wurde zur Vertrauten meines Vaters. Er teilte Sorgen, Konflikte, sogar rechtliche Probleme mit mir. Ich war noch ein Teenager – und wurde emotional in Dinge verwickelt, für die ich viel zu jung war. Ich wurde zur Zuhörerin, zur Stütze und zur Ablegestelle aller seiner Probleme, selbst Ehestreit.

Narzissmus ist nicht gleich Narzissmus

Viele Kinder narzisstischer Eltern entwickeln ähnliche Muster – etwa überhöhte Selbstverantwortung, ein schwaches Selbstwertgefühl oder Schwierigkeiten mit Nähe.

💡 Doch: Diese Muster können je nach Geschlecht des narzisstischen Elternteils und des Kindes variieren.

Zudem unterscheidet man zwei Narzissmus-Typen

  • Grandios-offensiv: laut, kontrollierend, dominant.

  • Vulnerabel-verdeckt: subtil, manipulativ, oft als Opfer inszeniert.

Beide Typen können grossen Schaden anrichten, auf unterschiedliche Weise.

Die Wende: Als ich Grenzen setzte

Die Beziehung kippte endgültig, als ich begann, eigene Gedanken zu äussern – besonders bei Themen, bei denen seine Meinung unumstösslich war. Mal konnte er über kleine Kritik lachen, mal reichte es, wenn ich mit verschränkten Armen am Tisch sass, und er warf mir vor: «Du sagst mir gerade, ich sei ein Arschloch.» Dabei bemühte ich mich, ruhig zu bleiben und gar nichts zu sagen. Doch ein Narzisst fühlt sich schnell angegriffen – auch wenn es nicht beabsichtigt ist. Die endgültige Eskalation wurde durch einen familiären Konflikt ausgelöst: Ich war nicht seiner Meinung und das reichte, um mich zur Gegnerin zu machen. 

Muster und ihre Folgen

Typisch war das ständige Infragestellen meiner Wahrnehmung: «Das bildest du dir ein» oder «Du übertreibst wie immer». Ich lernte früh, mir selbst zu misstrauen. Nichts war je genug, Lob gab es selten, dafür Kritik an allem. Gleichzeitig forderte er Selbstständigkeit ein – doch untergrub mein Selbstvertrauen. Beim Autofahren lernen machte er mich so nervös, dass ich mich kaum etwas traute. Eigenständigkeit war nur erlaubt, wenn sie mit seinen Vorstellungen übereinstimmte. 

Auch Kontrolle zeigte sich subtil: Was ich mochte, dachte, trug oder bestellte – alles wurde kommentiert, lächerlich gemacht, wenn es nicht seiner Vorstellung entsprach. Und wenn es mir psychisch oder körperlich schlecht ging, wurde das ignoriert oder als Schwäche abgewertet.

Diese ständige Abwertung hat mein Selbstbild geprägt. Lange dachte ich, das Problem liege bei mir. Ich wusste nicht, dass das, was ich erlebte, nicht normal war.

Typische Glaubenssätze von Töchtern mit narzisstischen Vätern

  • «Ich bin nur wertvoll, wenn ich etwas leiste.»

  • «Ich muss perfekt sein, damit man mich liebt.»

  • «Meine Gefühle sind zu viel / falsch.»

  • «Ich muss mich anpassen, um akzeptiert zu werden.»

  • «Ich darf nicht widersprechen.»

  • «Wenn ich etwas anderes will, bin ich egoistisch.»

Kontaktabbruch – kein Versagen

Heute habe ich den Kontakt weitgehend abgebrochen. Ich sehe ihn nur noch bei grossen Familienfeiern. Es war ein langer Weg, begleitet von inneren Kämpfen: Was, wenn etwas passiert? Er ist doch mein Vater... Aber ich habe gelernt: Familie ist kein Freipass für psychische Gewalt. Wäre es irgendein anderer Mensch gewesen, hätte ich den Kontakt längst beendet – ohne Zweifel, ohne Schuldgefühl. Doch bei Eltern ist die gesellschaftliche Erwartung eine andere.

Warum ich trotzdem schreibe

Ich schreibe das, weil ich weiss, dass ich nicht die Einzige bin. Und weil ich glaube, dass es Hoffnung gibt – nicht auf Heilung in der Beziehung, aber auf Heilung in einem selbst. Sie beginnt oft mit dem Erkennen: Es war nicht deine Schuld. Falls du mit jemandem über deine Erfahrungen sprechen willst, ich bin Peer-Helferin bei EnableMe. Du erreichst mich direkt in der Community oder über das Peer-Programm oder per E-Mail: peers@enableme.ch 

*Name geändert


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