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ADHS bei Frauen: wenn die stillen Mädchen untergehen

Mit einer Häufigkeit von fünf Prozent ist ADHS eine der häufigsten kinder- und jugendpsychiatrischen Auffälligkeit. Bei etwa Zweidrittel der betroffenen Kinder bleiben die Symptome bis ins Erwachsenenalter bestehen. Während in der Kindheit mehr Jungen als Mädchen betroffen sind, gleicht sich dieses Verhältnis im Erwachsenenalter aus. Doch woher kommen diese geschlechtsspezifischen Unterschiede?

Eine nachdenklich wirkende junge Frau | © unsplash

Viele Betroffene haben soziale Schwierigkeiten und ziehen sich zurück. (unsplash)

In der Medizin sind Männer die Norm. Dies geht zulasten der Frauen. Denn für diese heisst es dadurch, Fehldiagnosen, falsche Medikamente und eine erhöhte Sterblichkeitsrate. Denken wir beispielsweise an ADHS, denken wir an den unruhigen, zappeligen Jungen im Unterricht. Umgangssprachlich nennen wir diesen auch «Zappelphilipp». Bei Frauen hingegen bleibt ADHS unerkannt. Entweder bis ins mittlere Erwachsenenalter oder ein Leben lang.

Dass Mädchen seltener diagnostiziert werden, hat unterschiedliche Gründe. Zum einen sind ihre Symptome oftmals unauffälliger. Zum anderen fokussiert sich die Bewertungsskala auf die häufigsten Symptome, die bei Jungen vorkommen. Schliesslich dachte man auch eine lange Zeit, dass ADHS eine typische Jungenerkrankung sei. Dies sorgt dafür, dass es jedoch meist spät zu einer Diagnose kommt. Ärzte oder Ärztinnen werden meist aufgrund von Begleiterkrankungen wie Burnout, Angstzuständen, Depressionen, Ess- und / oder Schlafstörungen, Sucht und ähnlichem aufgesucht. Späte Hilfe für Frauen sorgt häufig dafür, dass die Betroffenen sich nicht nur «anders», sondern auch «ungenügend» fühlen. Zudem werden Eigenschaften wie verträumt oder still häufiger dem stereotypen Bild eines Mädchens zugeschrieben.

ADHS bei Mädchen/Frauen

Während bei dem hyperaktiven Typ der ADHS der Fokus auf die Hyperaktivität gelegt wird, beschreibt der unaufmerksame Typ der ADHS die zugrundeliegende Symptomatik – das Beibehalten der Aufmerksamkeit. ADHS unterscheidet sich in 3 Typen: den unaufmerksamen Typ, den hyperaktiv-impulsiven Typ und den gemischten ADHS-Typ. Die meisten Mädchen sind dem unaufmerksamen Typ, der ADHS zuzuordnen. Sie sind still, ruhig und zurückgezogen. Ebenso sind Begleiterkrankungen, wie Teilleistungsstörungen, weniger häufig vorhanden. Doch all dies bedeutet nicht, dass ihre Probleme im Alltag weniger Auswirkungen haben als die der Jungen. Mädchen verlieren sich in Tagträumereien und können dem Unterricht schlecht folgen. Sie vergessen beispielsweise die Hausaufgaben, trödeln, verlieren die Arbeitszettel oder der Schreibtisch sieht chaotisch aus. Ihre Unruhe kann sich dabei durch das Kauen an den Fingernägeln oder dem Spielen an den Haaren zeigen.

Ebenfalls haben sie Schwierigkeiten bei der sozialen Interaktion und sind häufig von Mobbing betroffen. Sie können sich kaum gegenüber ihren Mitschüler:innen behaupten. Sie sind nur wenig belastbar, brechen schnell in Tränen aus und treten schnell den Rückzug an. Dadurch wachsen sie nicht an Auseinandersetzungen oder trainieren Selbstbehauptung. Eigene Erfahrungen können sie nur wenig wertschätzen. Dafür haben sie ein gutes Gedächtnis für negative Erfahrungen und Misserfolge. Hieraus können sich depressive Symptomatiken, tiefe Selbstzweifel oder sogar Selbsthass entwickeln. Daraus resultiert, dass sie diese Erfahrungen auch oft als eigenes Versagen sehen. 

Betroffene haben Schwierigkeiten, Entscheidungen zu treffen. Sie werden dadurch unsicher und zögerlich. Oft machen sie die Erfahrung, dass sie zu viel Zeit gebraucht haben, sich an einem Gespräch zu beteiligen, das frustriert sie. Erst im Nachhinein fällt ihnen ein, was sie hätten sagen können oder wie sie sich hätten zur Wehr setzen können. Sie selbst gehen in Gesprächen oft einfach unter. Sie fühlen sich nicht wichtig.

Aus diesen Gründen sind sie oft auf Bestätigung von anderen angewiesen, wodurch sie von diesen abhängig werden. Sie passen sich an. Dadurch leidet ihre Authentizität, Individualität und Reife. Da sie ansonsten kaum stören, vermutet kaum jemand eine ADHS hinter ihrem Verhalten. Somit werden sie häufig mit Aussagen konfrontiert, dass sie faul seien, sich mehr anstrengen oder zusammenreissen müssen.

Es ist für die Betroffene ein grosser Kraftaufwand, den Anforderungen zu entsprechen. Dabei trägt sie die Kämpfe und den Stress im Inneren aus. Es ist und bleibt schwierig für sie sich zu organisieren, bei der Sache zu bleiben und den allgemeinen Ansprüchen ihrer Umwelt zu genügen. Es kostet sie viel Kraft, die Symptome der ADHS zu kompensieren. Dabei können Sätze, die sie als faul betiteln oder ihr ihre Anstrengungen absprechen, dazu führen, dass ihr Selbstwertgefühl negativ geprägt ist. Die Symptome können sich bereits in der Pubertät manifestieren, da hier das Risiko steigt an einer Persönlichkeitsstörung, Angststörung, Depressionen oder Essstörungen zu erkranken. Dies kann zu Missverständnissen führen. Denn oftmals wird das Augenmerk auf Depressionen und Ängste gelenkt und die fundamentale Diagnose ADHS übersehen.

Je höher der IQ ist, desto häufiger wird ADHS bei Frauen übersehen. Der Umgang in der Schule ist besser, sie können sich gut anpassen und fallen nicht auf. Hierdurch entziehen sie sich einer Diagnose. Dass sie für all die Organisation und Anpassung besonders viel Kraft benötigen, fällt dabei niemandem auf. Ist diese nicht mehr vorhanden, wird die Betroffene mit Ängsten und Depressionen konfrontiert.

ADHS-Symptome bei Frauen

Je nach Typus wirken sich die Symptome von ADHS unterschiedlich aus. Frauen vom hyperaktiven oder kombinierten Typus sind ihre Schwierigkeiten kaum anzumerken. Sie sind sozial, aktiv und charismatisch. So kann das Umfeld trotz einer kleinen chaotischen Art für sich gewonnen werden. Doch nach einiger Zeit zeigen sich hier die Symptome und Folgen:

  • Reizoffenheit
  • erhöhte Ablenkbarkeit
  • Zuspätkommen, Vergessen oder Überschneiden von Terminen
  • Pläne spontan verwerfen
  • Neigen zu Rückzug
  • Selbstzweifel
  • Hypersensibilität
  • Verletzlichkeit
  • leicht zu verunsichern
  • dünnhäutig

Dominiert bei Frauen mit ADHS der unaufmerksame Typus, sind diese:

  • Zurückgezogenheit
  • Ängstlichkeit
  • Risikoscheue
  • schnelle Entmutigung
  • kaum soziale Kontakte
  • verlieren sich in Tagträumereien
  • Neigen zu Aufschieberitis

Ausserdem wirken sie nach Aussen faul und träge und bleiben beruflich hinter ihren Möglichkeiten.

Konzentrationsschwäche

Frauen wirken oftmals verträumt oder abwesend, da sie Probleme haben sich für längere Zeit auf etwas zu konzentrieren. Besonders ausprägend ist dieses Symptom, wenn die Betroffenen keinen Spass an der Tätigkeit empfinden. Im Berufsalltag machen sie viele Überstunden, da sie oft langsamer sind und mehr Zeit benötigen. Hierdurch steigt das Burnout-Risiko.

Impulsivität

Sofern das Symptom vorhanden ist, kann es den Alltag beeinträchtigen. Im Nachhinein bereute Wutausbrüche oder Impulskäufe sind keine Seltenheit.

Desorganisation

Betroffenen fallen Selbstorganisation und Priorisierung häufig sehr schwer. Sie wirken dadurch chaotisch. Manchmal werden nichtige Aufgaben priorisiert, während nötige Aufgaben zurückbleiben. Auch beim Aufräumen gelingt es ihnen nicht, lange genug bei der Sache zu bleiben. Sie werden ständig von anderen Gedanken oder Impulsen abgelenkt.

Allgemeine Überforderung

Mit dem Alltag sind sie oftmals überfordert. Dies wird oftmals mit dem Auszug aus dem Elternhaus deutlich. Dinge wie Einkaufen, Wäsche waschen, Rechnungen bezahlen und pünktlich auf der Arbeit erscheinen, bereiten plötzlich Schwierigkeiten.

«Springende» Gedanken und Handlungen

Gedanken springen oft hin und her. Einem Redebeitrag zu folgen, kann ihnen beispielsweise schwerfallen. Dies kann ihnen bei Handlungen ähnlich ergehen. Sie fangen engagiert an, bis sie eine andere Beschäftigung gefunden haben, die sie ablenkt. Der eigentliche Plan wird vergessen. Dadurch haben sie das Gefühl, trotz grosser Anstrengungen nicht voranzukommen.

Beziehungsprobleme

Es fällt ihnen oft schwer, Freundschaften aufrechtzuerhalten, da sie Schwierigkeiten haben, sich regelmässig bei Freund:innen zu melden. Ein Wechsel von Freundschaften ist ebenso ein Symptom wie wechselnde Beziehungspersonen. Auch ein riskantes Sexualverhalten und Teenagerschwangerschaften treten häufiger auf.

Stärken der ADHS

ADHS bringt ebenso Stärken mit sich. So sind die Betroffenen von ADHS begeisterungsfähig. Ebenso gehören Einfühlungsvermögen, Kreativität und Humor zu den häufigen Begabungen von ADHS-Frauen. Sie sind charismatisch und neugierig. Macht ihnen etwas Spass, können sie sich besonders gut auf die Tätigkeit konzentrieren. Meist besser als andere Menschen. Dies nennt man Hyperfokus.

Folgen einer unentdeckten ADHS

Sofern eine ADHS unentdeckt ist, kämpfen Frauen mit:

  • Frustrationen
  • Versagensgefühlen
  • Selbstanschuldigungen
  • Selbstwertproblemen
  • Ängsten

Um den Stress und die Unruhe abzubauen:

  • Kauen sie an den Nägeln
  • Rauchen
  • Essen übermässig viel
  • Erbrechen sich

Viele Frauen entwickeln dadurch eine Essstörung.

Wenn die Symptome zuschlagen

Bei vielen jungen Frauen treten die Symptome mit dem Auszug aus dem Elternhaus oder der Aufnahme einer Ausbildung beziehungsweise Studium auf. Diese werden aber so plötzlich mit einer Intensität dieser Symptome überfordert. Wichtige Strukturen der Betroffenen brechen durch den Auszug weg. Wo bis jetzt nur ein Zimmer in Ordnung gehalten werden musste, muss nun der Haushalt einer ganzen Wohnung gestemmt werden, Termine eingehalten werden und das Leben selbst organisiert werden. Dies ist für alle Menschen in diesem Alter eine Herausforderung, aber für Menschen mit ADHS stellt dies eine besondere Herausforderung dar. Dabei ist es für die Betroffenen nicht leicht zu sehen, dass diese Aufgaben, die ihnen schwerfallen, anderen Menschen in ihrer Umgebung so leicht fallen.

Auch im Haushalt nimmt das Chaos zu. Pflichten werden immer öfter nicht erledigt. Bei diesem Kontrollverlust vollzieht sich der Rückzug auf die Couch schnell. Sie nehmen sich zwar viel vor, aber schaffen es nicht anzufangen. Sie schaffen es nicht, ihr Leben unter Kontrolle zu bekommen. Hierdurch wachsen der innere Schweinehund, die Schuldgefühle und die Überzeugung ein Versager zu sein. Schlussendlich kann es zu einer immer ausgeprägteren Antriebsstörung und sogar zu einer totalen Apathie kommen. Das Ergebnis hieraus kann eine Depression sein.

Frauen mit ADHS im Arbeitsleben

Im Arbeitsleben brauchen ADHS-Frauen oftmals länger für ihre Arbeitsleistung. Oftmals schreiben sie sich hierfür keine Überstunden auf, um dies zu verbergen. Dabei fehlt ihnen die Zeit zum Entspannen und für ihre Hobbys. Das Resultat: Burnout. Befriedigende Ergebnisse bleiben jedoch oftmals aus, da sie zu ablenkbar, zu reiz offen, zu umständlich, zu langsam sind. Aufgaben werden herausgeschoben, Flüchtigkeitsfehler gemacht, angefangene Aufgaben nicht beendet und ein Chaos entsteht um sie herum. Das kann ebenfalls zu Konflikten im Team führen.

Sie fühlen sich häufig falsch verstanden oder machen Erfahrungen mit Mobbing. Ebenfalls möglich ist ein ausgeprägter Erschöpfungszustand in einer psychosomatischen Klinik, wo leider meist das ADHS wieder nicht erkannt wird.

Versagensängste, Selbstzweifel, Depressionen, körperliche Symptome wie ausgeprägte Erschöpfungszustände, Essstörungen und Somatisierungsstörungen sind meist die Folge von dem Gefühl nicht genug zu sein. Dabei haben sie gelernt, ihre Symptome gut zu verbergen und unsichtbar zu sein.

Wenn Hormone die Symptome verstärken

Wenige Medikamente werden bei Erwachsenen mit ADHS eingesetzt. Unterstützen kann bei der richtigen Dosierung ein Zykluskalender mit der Stärke der ADHS-Symptome, da diese zyklusabhängig sind. Es kann sein, dass eine Anpassung der Medikamente vor Beginn des Zyklus notwendig ist. Symptome können sich vor Beginn des Zyklus verstärken. Hilfreich ist dies zudem, da man sich auf die Symptomschwankungen vorbereiten kann. Viele haben ein prämenstruelles Syndrom.

Folgende Symptome können sich während des Zyklus verstärken:

  • Gefühlsschwankungen/unbeherrschte Ausbrüche
  • Konzentrationsschwierigkeiten
  • Desorganisation
  • Instabilität

Hormonelle Veränderungen machen es ADHS-Betroffenen schwer. Hierzu gehören zum Beispiel die Pubertät, eine Schwangerschaft oder die Wechseljahre. Trotz vieler Anstrengung und Erschöpfung wird ihnen eine Lethargie und passive Haltung vorgeworfen.

ADHS und Beziehungen

Aufgrund des eigenen negativen Selbstwertes haben sie viel häufiger Beziehungsprobleme. Oftmals suchen sie sich zwei Arten von Partner:innen. Entweder solche, die sie ebenfalls schlecht behandeln und sie abwerten oder diejenigen, die ihre eigenen Defizite kompensieren sollen. Es gibt aber auch Fälle, in denen sie sich Partner:innen suchen, denen sie helfen können. Sie entwickeln ein Helfersyndrom. Dabei werden sie von den Problemen mit in den Abgrund gezogen.

Partner:innen fällt es schwer, Betroffene zu verstehen. Der Unmut nimmt zu und das Unverständnis steigt, wenn es zu Hause nicht funktioniert.

ADHS in der Mutterrolle

Symptome können in der Mutterrolle meist dann kompensiert werden, wenn Struktur durch den Berufsalltag gegeben ist. Wichtig ist, dass hier ebenfalls Anerkennungen gegeben sind. Ebenfalls sollten ausreichende Erholungszeiten und Rückzugsmöglichkeiten vorhanden sein. Jedoch geht mit Kindern die Kontrolle und Planbarkeit des Tages verloren. Sie neigen oft dazu inkonsequent bei dem Thema Regeln zu sein. Den Kindern fehlen klare Grenzen. Sie lassen sich viel von den Kindern gefallen, bis sie bei einer Kleinigkeit explodieren. Dies nennt man auch Impulskontrollstörung. Sie haben den Anspruch an sich selbst eine gute Mutter zu sein und ihre Ausbrüche bereiten ihnen Gewissensbisse. Sie sehen dies ebenfalls als Scheitern.

Was eine Diagnose für ADHS-Betroffene Frauen bedeuten kann

Dabei kann eine Diagnose oft wie ein Befreiungsschlag für die Betroffenen wirken. Sie lernen sich endlich besser zu verstehen. Es ist wichtig, dass Frauen verstehen, dass sie weder versagt haben noch schuld sind. Ihr Umgang mit Anforderungen ist ein anderer. Sie kämpfen doppelt so hart für dieselben Ziele. Es ist wichtig, dass sie sich nicht mit anderen Frauen ohne ADHS vergleichen.


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